Ob die Kontribution von einer Milliarde Reichsmark, die den deutschen Juden auferlegt worden ist, dem Reich wirklich so viel Geld einbringen wird, steht dahin. Das Vermögen, aus dem das geschöpft werden soll, besteht zum allergrößten Teil aus Sachwerten. Und um diese an den Mann bringen zu können, scheint es fürs erste sogar nötig, die „Käufer“ mit öffentlichem Kredit auszustatten. Aber auch wenn Geld eingehen wird, scheint es nicht so schnell eingehen zu können, wie das Finanzministerium es offenkundig wünschen muss. Denn, so seltsam das klingt; dessen Geldschwierigkeiten wachsen. Dass nicht alles zum besten dort steht, ist bekannt. Schon um den 15. September 1938 herum erschienen in der deutschen Presse Artikel, die zur „Kreditdisziplin“ mahnten und das Vorhandensein einer „Finanzklemme“ dementierten.
Die wenig später erscheinenden Zahlen für Geldumlauf, Reichsbankbeanspruchung usw. wiesen aus, dass die Generalmobilmachung von August und September das Reich mehrere Milliarden Reichsmark gekostet haben muss. Die Einverleibung des Sudetengebiets und die beschleunigte Fertigstellung der Westbefestigungen verschlang weitere Unsummen. Mitte Oktober wurde eine Reichsanleihe im bisherigen Rekordbetrag von von 1,85 Milliarden Reichsmark zur Zeichnung aufgelegt, die binnen eines Monats voll eingezahlt werden musste. Und kaum ist das vorbei, wird bereits eine weitere Anleihe von zunächst 1,5 Milliarden Reichsmark angekündigt.
Zur Begründung erfährt man in der „Frankfurter Zeitung“ vom 21. November, dass im Oktober und November „Lieferschatzanweisungen des Reichs fällig geworden waren“, und zwar jeweils „wahrscheinlich in Beträgen von mehr als einer halben Milliarde“. Die seinerzeit als unsinnig bezeichneten Gerüchte, dass das Reich im Oktober rund eine Milliarde Lieferschatzanweisungen einzulösen habe, können also kaum sehr weit vom Schuss gewesen sein. (Nebenbei sei vermerkt, dass in den Monatsausweisen der kurzfristigen Reichsschulden, entgegen der ausdrücklichen Ankündigung Schachts, nun doch nur ein Teil dieser Lieferschatzanweisungen gezeigt worden sein kann; obwohl vom Typus der „Sonderwechsel“ gerade deshalb zum neuen Typ der Lieferschatzanweisungen übergegangen wurde, weil man jetzt alles richtig veröffentlichen wollte, hat das Unterschlagen bereits wieder angefangen.)
Lässt man wegen dieser und anderer Unsicherheiten die kurzfristigen Staatsschulden ganz außer Ansatz, dann zeigt sich die Steigerung der langfristigen innerdeutschen Schuld: In den Jahren von 1935 bis 1938 ergab sich ein Betrag von knapp 15 Milliarden Reichsmark. Aber die gewaltige Beschleunigung des Tempos allein im Jahr 1938 zeigt, wohin der Weg führt. Der Schluss liegt nahe, dass die Riesensumme dieses letzten Jahres an Kaufkraft nicht mehr so viel bedeutete, wie sie in früheren Jahren bedeutet hätte. Daher sowohl die Notwendigkeit, solche Beträge zu leihen, wie die Möglichkeit, sie zu erhalten.
Und nun das Kirchen-Vermögen… Eine besondere Rolle im Mechanismus der deutschen Presse spielt „Das Schwarze Korps“. Es nennt sich „Organ der Reichsführung der SS“. Somit ist es das Organ des Herrn Hinmler, – der nicht nur Chef der SS ist, sondern auch der Polizei und Gestapo. Infolgedessen finden sich in diesem Blatt nicht selten bemerkenswerte Aufschlüsse über Dinge, die, in engerem oder weiterem Sinn, den polizeilichen Rayon betreffen. Insbesondere hat man im „Schwarzen Korps“ mehrfach die „kommenden Dinge“ auf innenpolitisch-polizeilichem Gebiet publizistisch vorbereitet und vorangekündigt gefunden. Aus letzter Zeit ist zum Beispiel daran zu erinnern, dass dort schon am 23. Oktober, also lange vor dem Pariser Attentat, die bevorstehende Total-Aktion gegen die Juden angekündigt worden war.
Hier wurden die deutschen Juden zum ersten Male insgesamt als „Geiseln für die Angriffe des Weltjudentums“ bezeichnet. Unter diesen Umständen ist ein Artikel vom Umfang einer Druckseite, den das Blatt am 17. November veröffentlicht, weitester Beachtung wert. Auch hier scheint es sich um eine Ankündigung konkret geplanter Dinge zu handeln. Das Blatt stellt das Postulat auf: das gesamte Eigentum der katholischen Kirche in Deutschland muss konfisziert werden. Die Begründung unterscheidet sich von populäreren und weniger konkreten Verkündungen ähnlicher Art dadurch, dass sie nationalökonomisch frisiert ist. Es wird zunächst behauptet, dass die Kirche in ihrer Eigenschaft als Vermögensbesitzer „die Wandlung vom liberalen Kapitalisten zum nationalsozialistischen Treuhänder des Volksvermögens nicht mitgemacht hat“ und auch nicht mitmachen wollte.
Und weiter schreibt das Blatt: Welch ekle Heuchelei: Als die Orgie gegen die Juden losbrach, konnte man zwar gewiss sein, dass sie auf alle Fälle entfesselt worden wäre, dass sie in der Tat längst vorbereitet war; – aber man konnte es nicht belegen. Nun ist überraschenderweise sogar der Beweis geliefert. Er findet sich, schwarz auf weiß, in dem Leitartikel „Die Milliarde“, – einem offensichtlich besonders inspirierenden Leitartikel, – den die „Berliner Börsenzeitung“ vom 18. November 1938 auf ihrer ersten Seite veröffentlicht. Dort ist zu lesen:
„Die Schnelligkeit, mit der Deutschland seine Rechnung aufgestellt und vorgelegt hat, mag ein Hinweis darauf sein, dass sich der Nationalsozialismus in der Behandlung der Judenfrage nicht schlafen gelegt hat, dass er vielmehr schon seit geraumer Zeit in Ruhe Vorbereitungen getroffen hat, der politischen Konsequenz in seinem Verhalten zum Judentum nunmehr auch die wirtschaftliche folgen zu lassen, um damit die Totalität seiner Haltung auch in dieser Frage zu erreichen. Denn darüber, dass der Nationalsozialismus auch die wirtschaftliche Konsequenz früher oder später verwirklichen würde, konnte sich nur der Nichtkenner des nationalsozialistischen Wesens hinwegtäuschen.
Schon lange vor den jetzt eingeleiteten Maßnahmen deutete dem aufmerksamen Leser die in diesem Jahr ergangene Invetarisierungsverordnung der Regierung, wonach das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen der Juden deutscher Staatsangehörigkeit anzugeben war, die kommende Heranziehung des jüdischen Besitzes zur Wirtschaftsleistung und die erforderliche Ausschaltung des jüdischen Einflusses auf die Wirtschaft an… In der einen oder anderen Form wäre also über kurz oder lang sowieso der besondere Einfluss des jüdischen Kapitals und damit die Sterilisierung des jüdischen Einflusses auf unser Wirtschaftsleben zum Nutzen unserer Gesamtwirtschaft erfolgt. Die Schüsse in Paris auf einen Mitarbeiter des deutschen Botschafters haben nun allerdings den vorzeitigen Start ausgelöst.“
Niedergeschrieben am 26. November des Jahres 1938.
Von Rolf von Ameln
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