Auf dem Landweg nach Indien; – vor den Toren Kabuls
Das Regime in Nazi-Deutschland bemühte sich, mit sogenannten „Auslandsberichten“ von den tatsächlichen Zuständen im Reich abzulenken. In seiner Ausgabe von Sonntag, 30. August 1936 schreibt der „Hannoversche Kurier“:
Unser Kairorer Vertreter ist auf seiner Asienreise, die ihn bisher durch die arabischen Länder und Iran führte, nun nach Afghanistan gelangt, aus dessen Hauptstadt er uns nachstehenden Bericht sendet.
Von unserem Kairorer Vertreter. Kabul, im August:
Es ist früher Morgen, da dies geschrieben wird. Vom Balkon eines Landhauses aus schweift der Blick über weite, gepflegte Rasenflächen über das Grün blühender Sträucher und hochstehender Pappeln hinauf zu den blauvioletten, steilen Bergen, deren Ränder die Frühsonne in gleißendes Licht faßt. Wenn man hier nach langem Schlaf erwacht und durch die Fenster hinausschaut, dann kommt der Gedanke: Du bist nicht in Zentralasien, nicht vor den Toren der Hauptstadt Afghanistans, sondern du bist in Obernbayern, vielleicht im parkreichen Partenkirchen, und die Berge sind die der Alpen. So zauberhaft täuschend und im Sinne der Heimat lenkend wirkt diese Landschaft…
Ein weiter Weg: Aber dann besinnt man sich des Wegs, den man in den vergangenen Tagen zurücklegte, jenes Weges ohne Ende zwischen Teheran und Kabul, der oft in kümmerlichen Spuren versickerte, oft ganz verschwand und nur noch ahnend gefunden wurde; der durch Steppen, Wüsten und Oasen führte, durch Land, das vor Hitze flimmerte und darin Durst und Staub, glühende Sonne und Einöde jeden Gedanken auslöschten, nur diesen einen nicht. ans Ziel zu kommen. Und man besinnt sich, wie man auf diesem endlosen Weg, der sich immer und immer wieder im Horizont verlor, über 3.000 Kilometer hinweg, Landschaft, Menschen und ihre Lebensformen wechselten, wie sich aus der Hochebene Ost-Irans die himmelstürmenden Berge Afghanistans reckten, wie die Firnisschicht europäischer Zivilisation zerbröckelte und das Asien der Asiaten zum Vorschein kam, je weiter man gen Osten fuhr. Man besinnt sich auf Mesched, die heilige Stadt im Osten Irans, deren goldene Moschee beim Abschied in der Abendsonne glühte. Man erinnert sich an Herat, die Feste Afghanistans nach Westen hin, wo das Auge erstmals vergeblich nach einer Spur europäischen Einflusses suchte, bis es schließlich ein Elektrizitätswerk fand, das Deutsche gebaut. Und man erinnert sich an die Basare Kandahars, wo ein mit dem Ohr an die Wand eines Hauses genagelter Dieb den Beweis lieferte, daß auch die Justiz die Sphäre europäischer Humanität entzogen war, daß man in Asien war, – tief in Asien…
Die Stadt Uman Ullahs: Und vor diesem Erinnern an den endlosen Weg zwischen Teheran und Kabul, und an all die tausend phantastischen Bilder, die um ihn gestellt, verblaßt der Traum, man sei in oberbayrischer Heimat schnell, und da nun noch ein brauner Diener auf nackten Sohlen lautlos das Frühstück bringt, kommt schnell das Bewußtsein zurück, daß man vor den Mauern Kabuls ist, in Dar al Fenum, in jener Stadt, die stummer, aber großartiger Zeuge der Regierungszeit Uman Ullahs ist. Er hatte diese neue Stadt vor den Mauern des alten Kabul gegründet, mit großzügigen Projektionen und Fluchtlinien ausgestattet, mit Parlament, Universität und Musterhäusern versehen und als künftige Residenz eines modernen Afghanistans gedacht. Diese Stadt liegt heute verlassen, verfemt, tot. Ohne Bewohner, denn sie ist das Werk des Gehaßten, Gestürzten. Nur gelgentliche europäische Gäste bringen bringt man hier in den trefflich ausgestatteten Musterhäusern unter. Vorige Woche waren es deutsche Flieger, diesmal ist es ein deutscher Journalist. Außer diesen paar flüchtigen Gästen und ein paar türkischen Professoren der medizinischen Fakultät gibt es keine Bewohner in der toten Stadt des verfemten Königs.
Die Mullahs: Der Weg von Teheran nach Kabul ist weiter als jene 3.000 Kilometer qualvollen Wegs. Er führt über die Abgründe gegensätzlichen Denkens von Welt zu Welt. Er führt, wenn man es überspitzt sagen soll, vom Einflußkreis europäischer Zivilisation in die abgeschlossene Welt Asiens. In Iran geht der Wille des Schahs darauf aus, das Land nach europäischen Muster zu reorganisieren. Mag es im Inneren die Geisteshaltung Europas ablehnen, seine zivilisatorischen Mittel übernimmt er kühn zugreifend zur Stabilisierung seines Reiches als – Großmacht im Reigen der Mächte. Hat man aber die Grenze im Osten Irans überschritten, tritt der Fuß auf afghanischen Fels, dann wandelt sich das Wollen der Regierenden grundsätzlich. Befiehlt im Iran der Fortschritt im Sinne europäischer Zivilisation, so hier – die Reaktion. Und es offenbaren sich eindrucksvoll die Folgen des Kampfes zwischen geistlicher und weltlicher Macht, der in Iran, wie in Afghanistan ausgetragen wurde und noch ausgetragen wird. In Iran endete er mit dem Sturz des Schahs, in Afghanistan vorläufig mit dem Sturz Uman Ullahs. So herrschen hier die Mullahs, die Vertreter der islamischen Kirche und sie sind Feind jedes zivilisatorischen Wollens, so es von Europa her bestimmt oder vorbildlich beeinflußt ist… Deshalb sind die Werke Uman Ullahs verfemt, da sie von anderem Willen errichtet waren, deshalb liegt seine Stadt vor den Toren Kabuls, mit schönen Häusern und Gärten, verlassen und ohne Bewohner, nur seltenen europäischen Gästen zugänglich. Deshalb darf man den Namen Uman Ullahs nur flüsternd nennen. Denn in ihm ist der Staatsfeind benannt, der Gegner des Denkens der Mullahs. Und wer ihn nennt, neigt zu ihm hin… Die Mullahs, die Träger der geistlichen Macht, der islamischen Religion, die sich hier wieder in der sunnitischen Form zeigt, sind Herren des Landes. Regiert wird das Land von den weltlichen Widersachern Uman Ullahs, vom Sohn des ermordeten Radir Khan als König, von seinen Verwandten als Ministern und Gouverneuren, von seinen Freunden als Mitarbeitern. Diese Gruppe machte sich während des Kampfes gegen Aman Ullah zu Wasserträgern der Mullahs und trat nach Vertreibung des Königs sein Erbe an. Diese drei Gruppen sind Kämpfer im Ringen um das Afghanistan der Zukunft: Die Mullahs als Träger der geistlichen Gewalt, die Regierung als Träger der weltlichen Macht und – die Anhänger Aman Ullahs, die heute zum größten Teil in den Gefängnissen des Landes sitzen. Immerhin ist ihr Einfluß noch so groß, daß sich König und Regierung nur unter größten Vorsichtsmaßnahmen bewegen.
Reformen: Interessant ist nun zu beobachten, wie die Regierung von heute, diese Regierung von der Mullahs Gnaden, tastend und vorsichtig wieder jene Reformversuche aufnimmt, an denen Uman Ullah, da er sie überstürzt vorwärtstreiben wollte, scheiterte… Schon flüstert man davon, daß vielleicht die Gartenstadt Uman Ullahs vor den Toren des alten, engen Kabul geeignet sei als Residenzstadt und Sitz der fremden Diplomaten. Langsam wächst wieder der Zustrom fremder Sachverständiger und Fachberater. Und während des bevorstehenden Nationalfestes, für das man sich in Kabul seit Wochen rüstet, wird erstmals seit Jahren ein Kino seine Pforten in Kabul öffnen. All das sind vorsichtige Versuche, unternommen im drohenden Schatten der Mullahs, die morgen Feind der Regierung sein können, so wie sie heute argwöhnisch beobachten, der Freund sind. Kaiser und Papst haben in Afghanistan einen Waffenstillstand geschlossen, aber ihr Kampf ist noch lange nicht zu Ende – auch wenn die Mullahs, wenn die kirchliche Macht, im ersten Gang dieses Kampfes einen triumphalen Sieg davontrugen. Der Kampf wird weitergehen, heute oder morgen, einerlei, und er wird der Schicksalskampf Afghanistans werden, auch wenn er noch Jahrzehnte währen sollte.
Deutsche Helfer: Bei den tastenden und trotz allen Mißtrauens der Reaktion als notwendig empfundenen Versuchen zur Reorganisation des Landes sind deutsche Arbeitskraft, deutscher Geist und Wille wirkungsvoll eingeschaltet. Zwei Deutsche sind führend tätig beim Neubau der heute fast 70.000 Mann starken afghanischen Armee. Deutsche Bankfachleute arbeiten leitend in der afghanischen Nationalbank, deren Banknoten seit etwa Halbjahresfrist das Land erstmals mit eigenem Papiergeld versorgt. Deutsche Landwirtschaftsexperten sind durch die afghanische Gesandtschaft in Berlin geworben worden und werden für die kommenden Wochen in Kabul erwartet. Bis tief in die afghanische Provinz hinein sitzen Deutsche als Baufachleute auf verlassensten Posten,Helden der Arbeit, und ein Deutscher leitet in Kabul eine Realschule, deren Schüler als Männer einmal Freunde deutschen Geistes sein werden. Ein paar Dutzend deutscher Männer, wenig mehr denn 50, wahren in dieser Ferne die Interessen der deutschen Heimat auf exponierten Posten gegen übermächtigen russischen und stark wachsenden japanischen Einfluß. Der englische Einfluß ist am russischen gemessen gering, und eine Welle der Feindschaft gegen England schlägt über das ganze Land. Aber trotz all dieser Einflüsse und aller Versuche zur Einflußnahme: noch steht das Land im ersten, bescheidensten Stadium der Entwicklung, weit zurück im Grad des Fortschritts hinter seinem westlichen Nachbarn. Und erst dann wird normaler Fortentwicklung der Weg geöffnet sein, wenn jener Geist der Reaktion un des der Vergangenheit Zugewandten gebrochen ist. Jener Geist, an dem das planlose Vorwärtsstürmen eines Uman Ullah scheiterte. Jener Geist, mit dem auch die jetzige Regierung rechnen muß von Stunde zu Stunde bei kleinsten Entscheidungen. Jener Geist, der seine Personifizierung gefunden hat in der Priesterschaft des Landes, die dunkel spürt, als Hüter der Abgeschiedenheit, daß die Entwicklung einmal über sie hinweggehen wird, aber dennoch und gerade deshalb die Bastionen ihres Geistes hält, solange sie sie zu halten vermag.
Bei allem Pathos, der in diesem Artikel mitschwingt, ist doch nicht zu übersehen, dass sich in Afghanistan nichts, aber auch gar nichts gegenüber dem Jahre 1936 geändert hat.
Von Rolf von Ameln
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