Mitte Juli des Jahres 1940 herrschte große Euphorie im Reich der Nazis. Der unerwartet rasche Sieg über den Erzfeind Frankreich hatte einen kollektiven Freudentaumel ausgelöst. Die Bevölkerung, die Militärs und die politische Führung glaubten, dass der Krieg eigentlich schon gewonnen sei. Nachdem die englische Regierung aber keinerlei Anstalten machte, den Kampf aufzugeben, würde man diese zum Frieden mit dem „Großdeutschen Reich“ zwingen müssen. Der Plan zur Eroberung Englands sah folgendermaßen aus: Görings Luftwaffe sollte die Lufthoheit über Südengland erringen und die Insel sturmreif bomben. Sollten die Briten dann immer noch weiterkämpfen, würde eine Invasion, das Unternehmen „Seelöwe“, erfolgen. Die Generäle der Nazi-Luftwaffe waren optimistische, die Royal Air Force in wenigen Wochen niederringen zu können. Dieser Optimismus entsprang freilich mehr der allgemeinen Siegeseuphorie als einer nüchternen Analyse der Lage. Denn trotz aller Erfolge im Krieg gegen Frankreich hatte die Luftwaffe auch Rückschläge hinnehmen müssen. 460 Jäger und 780 Bomber waren abgeschossen worden; – ein herber Verlust!
Darüber hinaus hatte man über Dünkirchen im Kampf gegen die modernen englischen Jäger die Überlegenheit in der Luft verloren. Noch bedenklicher hätte die Tatsache stimmen müssen, dass es im zweiten Teil des Frankreichfeldzuges nicht gelungen war, die Bodenorganisation der französischen Luftwaffe zu zerstören. Es war vielmehr oganisatorisches Chaos, das die Armee de I´Air daran hinderte, wirkungsvoll in die Bodenkämpfe einzugreifen. Im Juli 1940 bereiteten sich beide Seiten auf die bevorstehende Auseinandersetzung vor und glichen die Verluste in den eigenen Reihen aus. Die Royal Air Force konnte rund 600 einsatzbereite Jagdflugzeuge aufbieten, die deutsche Luftwaffe verfügte über 1.000 Bomber und knapp 800 Jäger. Die Luftoffensive begann am 13. August 1940, großspurig von Göring als „Adlertag“ benannt. Bomber und Jäger griffen bei Tag die Flughäfen der englischen Jägerstaffeln an, um diese möglichst noch am Boden zu vernichten. Schnelle Erfolge blieben jedoch aus. Die Verluste auf beiden Seiten waren sehr hoch und die Kämpfe nahmen rasch den Charakter einer Materialschlacht an. Bereit in den ersten Tagen der „Luftschlacht um England“ bewährte sich das moderne englische Verteidigungssystem. Eine Kette von Radarstationen ermöglichte eine lückenlose Luftüberwachung bis hinüber nach Nordfrankreich. So konnten die deutschen Bomberverbände bereits im Anflug erfasst und die eigenen Jäger effizient gesteuert werden. Die Royal Air Force erlitt zwar erhebliche Verluste, konnte von der Nazi-Luftwaffe jedoch nicht entscheidend geschwächt werden, zumal deren Ausfälle erheblich höher waren. Die britischen wichen den deutschen Jägern aus, sodass die Luftwaffe sie nicht recht zu fassen bekam. Zwischen dem 1. Juli und dem 31. Oktober verlor die deutsche Luftwaffe 1.200 Flugzeuge, die Royal Air Force „nur“ 760. Göring befahl daher am 7. September, nicht mehr die südenglischen Flughäfen anzugreifen, sondern alle verfügbaren Kräfte auf London zu konzentrieren. Ein Angriff auf die englische Hauptstadt, so das Kalkül, würde die britischen Jäger dazu zwingen, sich dem Kampf in der Luft zu stellen. Dann könnte man auch sie vernichten, so die Hoffnung. Die Luftoffensive gegen London verlief jedoch anders als geplant. Die Verluste der Deutschen stiegen binnen weniger Tage derart an, dass sie untragbar wurden. Mitte September mussten die Tagesangriffe eingestellt werden und in die Nacht verlegt werden. Die „Luftschlacht um England“ war verloren..! Den Angreifern war es nicht gelungen, die britische Luftabwehr niederzuringen, sodass Hitler die „Operation Seelöwe“ am 17. September 1940 auf das kommende Frühjahr verschob. Die „Großdeutsche Wehrmacht“ hatte ihre erste und für den weiteren Verlauf des Krieges besonders folgenschwere Niederlage erlitten. Was aber waren die Gründe für dieses Scheitern? Die deutsche Luftwaffe war dafür ausgebildet und ausgerüstet, den Vormarsch des Heeres zu unterstützen. Eine strategische Luftoffensive war nur als letzte Möglichkeit in einem Krieg vorgesehen. Hierzu fehlten freilich alle technischen Voraussetzungen. Deutschland verfügte weder über Langstreckenjäger, noch über viermotorige Fernbomber. Die eigenen Jagdflugzeuge waren noch nicht einmal mit abwerfbaren Zusatztanks ausgestattet. Hinzu kam, dass es in der Luftwaffenführung kaum herausragende Führungspersönlichkeiten gab, die einer derart anspruchsvollen militärischen Aufgabe gewachsen waren. Der hochgelobte Generalstabschef der Luftwaffe, Walter Wever, war schon 1936 verunglückt. Kritische Köpfe duldete Göring in den höchsten Stäben nicht. Die Führungsriege des Jahres 1940 war von ihrem Sieg in Frankreich so geblendet, dass sie es versäumte, sich auf einen harten Kampf gegen einen entschlossenen Gegner vorzubereiten. Die Mängel in der Planung und der Vorbereitung waren unübersehbar. So erkannte der für das Feindnachrichtenwesen zuständige Offizier nicht, wie wichtig die englischen Radaranlagen an der Südküste waren – entsprechend halbherzig wurden sie angegriffen. Man unterschätzte zudem die Leistungsfähigkeit der britischen Luftrüstungsindustrie. Sie produzierte im Durchschnitt 470 Jäger monatlich, mehr als doppelt so viele wie die deutschen Flugzeugfabriken. Deshalb verfügte die britische Luftwaffe trotz der schweren Verluste immer über genügend Nachschub, während man sich auf deutscher Seite zu wundern begann, warum die gegnerische Luftverteidigung nicht schwächer wurde. Die „Luftschlacht um England“ offenbarte, dass die deutsche Luftwaffe schnell am Ende war, sobald sie aus der rein taktischen Rolle der Heeresunterstützung heraustreten und operative oder gar strategische Aufgaben übernehmen sollte. So musste sie im august und September 1940 scheitern. Der Zielwechsel auf London spielte dabei nie eine entscheidende Rolle. Der Nazi-Luftwaffe fehlte schlicht die technische Voraussetzung, um die Luftherrschaft über Südengland zu erringen. Vor allem waren die Deutschen im Kampf Jäger gegen Jäger nur wenig überlegen. Technisch waren die Engländer mindestens ebenbürtig und aufgrund der geringeren Reichweite des deutschen Standardjägers Messerschmitt 109 hätte man die Flugplätze des britischen Fighter Command immer nur in einem sehr begrenzten Gebiet, in Kent und Sussex, zerstören können. Um mit einer aus Rheinkähnen hastig zusammen gezimmerten Invasionsarmada ungehindert den Ärmelkanal überqueren zu können, hätte man die englische Luftwaffe vernichten müssen. Doch davon war man im Spätsommer 1940 weit entfernt. Eine Landung deutscher Truppen hätte unter diesen Bedingungen wohl kaum gelingen können; – und: England hatte zu diesem Zeitpunkt die größte Gefahr bereits überstanden.
Der englischen Zivilbevölkerung stand jedoch das Schlimmste noch bevor. Nach dem Scheitern der „Luftschlacht um England“ griffen die Deutschen von Ende September bis Ende November 1940 beinahe jede Nacht London an. Die Angriffe, die vor allem auf die Docklands im Osten der Stadt zielten, beeinflussten jedoch weder die Wirtschaft noch den Durchhaltewillen der Zivilbevölkerung in nennenswerter Weise. Ende Oktober 1940 erkannte die Führung der Nazi-Luftwaffe, dass die Angriffe ohne sichtbares Resultat blieben. Sie befahl deshalb eine Offensive gegen die britische Luftrüstungsindustrie, um so der englischen Luftwaffe das Rückgrad zu brechen. In diesem Zusammenhang wurde dann auch der verbrecherische Angriff auf Coventry geflogen. Die Opfer unter der Bevölkerung waren erheblich. Allein von Juli bis Dezember 1940 sind 23.000 englische Zivilisten den deutschen Luftangriffen zum Opfer gefallen. Hitler konzentrierte sich nach dem Scheitern der „Luftschlacht um England“ ganz auf die Vorbereitungen des Überfalls auf die Sowjetunion. Der Kampf gegen die Insel hatte für ihn nach der Absage des „Unternehmens Seelöwe“ nur noch das Ziel, England zu schwächen, aber nicht mehr, es zu besiegen. Nach dem raschen Sieg über Russland wollte der Diktator dann einen zweiten Anlauf unternehmen. Insgeheim hoffte er wohl immer noch, dass es zu dem finalen „Showdown“ zwischen Nazi-Deutschland und England nicht kommen und London nach dem deutschen Triumph im Osten endlich einem Arrangement zustimmen würde. Hitler hatte aus der Niederlage in der „Luftschlacht um England“ nichts, aber auch gar nichts dazugelernt.
Von Rolf von Ameln
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