Vor einiger Zeit reiste ich von Siebenbürgen nach Berlin. So richtig wohl fühlte ich mich in Hermannstadt, gerne hätte ich am Rande der Karpaten überwintert, doch irgendwann musste ich fort. Der Zug fuhr mich von Hermannstadt nach Budapest, bequemere Polster hatte der Zug von Budapest nach Berlin. Zwölf Stunden fuhr ich durch die nächtliche Landschaft Westsiebenbürgens und des Banats und zwölf Stunden durch die schönste Herbstlandschaft Europas.
Am Donauknie bei Visegrad, der alten Stadt von Matthias Corvinus, der den Juden bereits im 15. Jahrhundert freiere Lebensverhältnisse einrichtete, kroch die Sonne langsam durch den dicken Nebel und die Zitadelle auf dem Hügel war schemenhaft zu sehen. Silbrig schimmerte die Donau, floss behäbig durch die Landschaft bis Esztergom in Mitteltransdanubien. Eine der ältesten Städte Ungarns ist Esztergom, mit römischer und türkischer Belagerung, mit jüdischen Bewohnern seit dem 9. Jahrhundert, vor unendlichen Zeiten Hauptstadt Ungarns, Einwanderungsgebiet von Deutschen und Slowaken.
Golden schimmerte die Landschaft, die Herbstpracht hätte nicht schöner sein können. Der Zug überquerte den zweitlängsten Fluss Europas, die behäbige Donau, und befindet sich in Sturovo in der Slowakei. Vor über fünfhundert Jahren war Sturovo die Westgrenze des Osmanischen Reiches und litt gehörig unter den Kriegen zwischen Türken und Habsburgern. Die Kleine Donau taucht in der Wiese auf und begleitet den Zug eine Weile. Gegen halb Elf fuhr der Zug in den Bahnhof von Bratislava mit seiner Preßburg, der Hauptstadt der Slowakei im Dreiländereck, ein. Bis 1918 gehörte diese Stadt zur Donaumonarchie und war Krönungsort der Ungarischen Könige.
Im 14.Jahrhundert wurden in Preßburg bereits 800 jüdische Bürger gezählt. Unweit der österreichischen Grenze bog der Zug nach Norden. Die Kleinen Karpaten lagen im herbstlichen Licht und kurz darauf fuhr der Zug gemächlich durch die sehr alte südmährische Grenzstadt Breclav/Lundenburg in die Tschechische Herbstpracht. Die Kathedrale von Brno/Brünn, die einst romanische, dann gotische Basilika auf dem Hügel inmitten des historischen Zentrums Mährens ist von sämtlichen Himmelsrichtungen schon von weit her zu sehen. Das jüdische Unternehmerehepaar Grete und Fritz Tugendhat ließ ich 1929/30 von Mies van der Rohe oberhalb der Stadt eine moderne komfortable Villa bauen.
Die Böhmisch Mährische Höhe ist erreicht und die mittägliche Sonne veredelt die Landschaft, macht sie goldener. Die schönste Stadt der Welt, die Goldene Stadt Prag, zeigt seine volle Schönheit. Die Prager Burg oberhalb der Moldau auf dem Hrdschin soll das größte geschlossene Burgareal der Welt sein. Mythen und Geschichten aus alten Zeiten ranken sich um diesen Hügel und diese Burg. Leo Perutz erzählt von Kaiser Rudolf und der schönen Jüdin Esther und Franz Kafka schreibt gar „Prag lässt nicht los. Dieses Mütterchen hat Krallen“. Smetanas Moldau fließt neben dem Bahndamm in den Norden der Elbe entgegen. Weltberühmt ist sie, die Moldau, dieser kurze Fluss.
Klänge der Flöten und Geigen sind zu hören, fröhliche Bauerntänze am Flussufer zu sehen, Pauken und Trompeten toben, tosend wirbelt der Fluss, die Nymphen tanzen, das plätschernde Wasser ist leise zu hören. Nach Norden, der Nordsee entgegen, fließt erhaben die Elbe neben dem Bahngleis durch das herbstlich gelbgoldene und berühmte Elbsandsteingebirge von Caspar David Friedrich. Kurz vor Dresden fällt die Sonne in die Elbe, es wird Nacht.
Von Christel Wollmann-Fiedler
Frau Wollmann-Fiedler ist Fotografin, Autorin und Journalistin, sie lebt und arbeitet in Berlin.
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