Bereits 1933 wurde das gesamte deutsche Pressewesen der Kontrolle des NS-Regimes unterworfen. Propagandachef Goebbels ließ die Medien jedoch zunächst bewusst gewisse Spielräume, vor allem, um dem Ausland weiszumachen, dass im Deutschen Reich noch immer Meinungsfreiheit möglich war. Doch noch keine neun Monate an der Macht, hatte sich die Hitler-Regierung zum Nazi-Regime gemausert und bereits die Instrumente einer diktatorischen Presselenkung geschaffen. Unmittelbar nach dem Brnd des Deutschen Reichstages hatte man die linken Zeitungen verboten, im März 1933 war das Ministerium für Propaganda des „Großmauls“ Goebbels etabliert, und im Juli 1933 hatte er mit den täglichen Presseanweisungen begonnen. Im September war die Reichspressekammer gegründet worden, der, um es mit einem Vokal aus dem „Wörterbuch des Unmenschen“ zu sagen, die „Durchführung“ des Schriftleitergesetzes oblag, das am 4. Oktober 1933 erlassen worden war.
Angesichts dieser perfekten Kontrolle der Presse lässt sich auf den Journalismus übertragen, was Heinrich Mann, einer der zwölf Schriftsteller, die seit der Bücherverbrennung aam 10. Mai 1933 als „die eigentlichen Schädlinge“ galten, in der August-Ausgabe der Exilzeitung des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller schrieb: „Gobbels lässt nur schreiben und reden, was seinen Maßgaben entspricht – und dann sollte es nicht langweilig sein? Eine einförmige geistige Haltung für alle! Nichts Erlebtes, nichts Angeschautes, wirklich Geglaubtes.“ Was Heinrich Mann entgangen war: Auch geniale Propagandist Gobbels, Menschenverächter und Menschenkenner zugleich, war sich dieses Problems bewusst. Ihm war bekannt, dass Propaganda, damit sie die Massen wirklich erreicht, kreatives Pwersonal benötigt, dem man gewisse Freiheiten lassen musste. Deshalb beließ er den einen oder anderen guten Schauspieler in Babelsberg, selbst wenn er den Nazi-Rassismus nicht teilte. Und auch im Pressewesen ließ „Großmaul“ Goebbels es zunächst bei einer gewissen Vielfalt. Diese diente unter anderem dem Ziel, gebildete Schichten an das Regime zu gewöhnen. Hauptsächlich aber wollte er damit dem Ausland zeigen, dass es im „Dritten Reich“ nach wie vor eine gewisse Meinungsvielfalt und Qualitätspresse gab.
Die Auslandsberichterstattung spielte in der deutschen Presse zu dieser Zeit eine wichtige Rolle. Darin spiegelte sich der Bedarf des Nazi-Regimes nach internationaler Akzeptanz in den Anfangsjahren, als England, Frankreich, Russland und die USA den Wiederaufstieg Deutschlands zur hochgerüsteten Weltmacht noch hätten verhindern können, wenn sie sich rechtzeitig zur Anti-Hitler-Koalition zusammengefunden hätten. Und man merkt den damaligen Zeitungen die Spielräume von Goebbels Gnaden an, ihre unterschiedliche Färbung aus der vergangenen Weimarer Republik war noch zu erkennen. Heinrich Mann schrieb im August 1934 einen treffenden Artikel mit dem Titel:
Das weiss eigentlich jeder
Die Frage „Warum sind wir langweilig?“ kommt von einem, der es besonders genau wissen sollte. Wenn von der deutschen Literatur nur das weniger Wirksame im Land bleiben darf, das andere aber auswandern muss, dann erübrigt sich die Frage, besonders von Seiten eines Goebbels. Der hat den Zustand selbst hergestellt. Der lässt nur schreiben und reden, was seinen Maßgaben entspricht. Alles muss möglichst aussehen, wie von ihm selbst – und dann sollte es nicht langweilig sein? Eine öffentliche Stimme, die sich überall gleich blebt! Eine einförmige geistige Haltung für alle! Eine Literatur ohne gewachsene Persönlichkeiten, ohne Gegensätze, ohne Kampf bringt künstlich das Wenige hervor, was nicht missliebig ist, verzichtet auf voraussetzungsloses Erkennen der menschlichen Dinge und auf lebendige Leidenschaften. Nichts Erlebtes, nichts Angeschautes, wirklich Geglaubtes. Alles gestellt, alles bestellt, alles verstellt.
Man muss Leidenschaft haben für die eigenen Wahrheiten und Träume. Naqch ihrer Übereinstimmung mit einer herrschenden Lehre darf nicht gefragt werden: sonst gibt es keine Literatur. Das gefährliche oder heroische Leben, das sind für den Künstler des Gedankens und der Anschauung die Entdeckungen in der eigenen Brust. Folgt er statt dessen Eingebungen, die nicht seine sind, dann wird er weder sich dienen noch seinen Auftraggebern, die ihn zum Dank langweilig nennen. Wer hat während der Republik sich darauf verlegt, geflissentlich republikanische Literatur zu machen? Niemand. Dennoch hat damals ein reiches geistiges Leben geherrscht – wie reich, wird jetzt erst klar, da kaum noch geistiges Leben herrscht.
Das ist demütigend für die Schriftsteller in Deutschland, zu fühlen: es herrscht kein geistiges Leben, es wird nur vorgetäuscht. Laut Verordnung dichten macht traurig und bleibt ergebnislos. Man ist doch genötigt, seine früheren, selbständigen Bemühungen zu vergleichen mit seinen heutigen, amtlich beschränkten und gelenkten. Wollte jemand zum Beispiel, auch ohne Marxist zu sein, das Leben Marx´ als eines kämpfenden, leidenden, siegenden Menschen darstellen? Das darf er nicht. Gut: aber dann wird er selbst niemals weder kämpfen noch leiden und besonders nicht siegen. Denn ganze Gebiete des Menschlichen sind ihm verschlossen.
Dagegen pumpt er irgendeine minderwertige Existenz entgegen seinem besseren Wissen zum großen Vorbild auf, nur weil das den Machthabern genehm ist und dem Autor vielleicht angerechnet wird. Das ist zweifellos sehr demütigend. Wer das Unehrenhafte einer solchen Lage nicht empfindet, kommt für die Literatur überhaupt nicht in Betracht. Wer es aber empfindet und dennoch hinimmt, wird persönlich uninteressant und bringt bestimmt nur Unwirksames hervor. Die erste Voraussetzung der Literatur ist die Ehre. Man darf nicht bloß für Geld schreiben: das war schon immer bekannt. Eine neuere Feststellung ist, dass es auch nicht ratsam ist, aus Angst zu schreiben.
Lieber gleichgeschaltet als ausgeschaltet, damit kann ein Bankier noch durchkommen, ein Schriftsteller nicht. Ihn schließt gerade sein Verzicht auf innere Ehrenhaftigkeit von seinem Beruf aus. Er wird nichts können und nichts erreichen – außer dem Allerverächtlichsten. Ein schändlicher Lohn, die Machthaber werfen ihn hin für eine unehrenhafte Leistung, die ihnen dienen soll. Aber sie dient ihnen gar nicht, sie ist viel zu unecht und ungekonnt: das merken die Interessenten zuerst. Natürlich bezahlen sie und sogar unangemessen hoch, 12000 Mark für einige Knittelverse, wenn sie nur das vorige Zeitalter schlecht machen, als Deutschland, sein Volk und sein Geist, frei waren.
Schon die Höhe des ausgeworfenen Betrages muss Verdacht erregen und bringt denn auch jeden auf den Verdacht, dass hier keine Auszeichnung, sondern Bestechung vorliegt. Wer sich aber bestechen lässt, ist verloren. Wer sich bestechen lässt, das ist nicht nur der Preisgekrönte oder auf Ehrenstellen Zugelassene. Das ist jeder, der sein Gewissen unterdrückt und sich mitschuldig macht an allen im Lande begangenen Unrecht, zu schweigen von den Verbrechen. Mitschuldig, wenn es sich um Schriftsteller handelt, an der Entrechtung der Vertriebenen, den Martern der Gefangenen, und andererseits an der Erhöhung Unwürdiger. Jeder weiß doch: die Einen leiden ohne Schuld, die Anderen triumphieren ohne Verdienst, einfach, weil auf ihrer Seite die materielle Gewalt ist. Wer das aber weiß´und nicht danach handelt, mit dem ist es aus.
Es wäre sehr zu wünschen, dass in Deutschland einige Schriftsteller ihre Ehre herstellen und sich behaupten lernen.
Literatur kann es nur geben, wo der Geist selbst eine Macht ist, anstatt dass er abdankt und sich beugt unter geistwidrige Gewalten. Literatur kann es nur geben, wo sie frei heranwächst. Sie ist eine Funktion der menschlichen Freiheit. Unter dem was in unfreien Staaten alsbald verkümmert und untergeht, ist unfehlbar die Literatur. Warum sie in Deutschland jetzt langweilig ist?
Langeweile wäre noch das Wenigste, wenn dieser Literatur sonst nichts fehlte.
Nicht vorhanden ist sie!
Wieviel Wahrheit doch in diesem Beitrag von Heinrich Mann steckte, konnte man zu dieser Zeit nicht erahnen.
Von Rolf von Ameln
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