Ofer, Militärgericht und Gefängnis auf halbem Weg zwischen Ramallah und Jerusalem
Warum gibt es für das Gebiet von Yehuda und Shomron ein eigenes Militärgericht? Bis 1948 galt hier das britische Recht, anschliessend bis 1967 das jordanische Recht und seither gilt das israelische Recht.
In Folge einer Besetzung oder Änderung der Herrschaftsverhältnisse in einem Gebiet müssen die Gesetze, die dort bindend sind, auch weiterhin anerkannt werden, sofern sie den Grundsätzen der demokratischen Rechtsprechung entsprechen. In diesem Falle heisst das, dass die Briten die Gesetze aus der Zeit der Osmanen einhalten mussten, und Israel die britischen Gesetzte als verbindlich ansehen musste.
Rechtsfälle, die in den Gebieten von Yehuda und Shomron anfallen, unterstehen grundsätzlich der militärischen Rechtsprechung. Eine weitere Voraussetzung ist, dass der Standort des Militärgerichtes physisch auf dem Gebiet des „verwalteten“ Landes zu liegen hat. Entsprechend der 4. Genfer Konvention darf ein Krimineller, also auch ein Terrorist, der innerhalb eines besetzten Landes angeklagt, verurteilt und inhaftiert ist, nicht ausser Landes gebracht werden, also auch nicht nach Israel.
Zu diesem Punkt erregte Marwan Barghuthi während des Prozesses gegen ihn grosses Aufsehen. Barghuti sah sich selber oft als logischer Nachfolger Arafats und hatte bereits seit jungen Jahren massgebliche Positionen in der PA inne. Nachdem ihm die Teilnahme an einigen blutigen Terroranschlägen nachgewiesen werden konnte, wurde er 2002 verhaftet. Der Fall erregte international wegen der Doppelrolle Barghutis als Politiker und Terrorist grosses Interesse, sodass man beschloss, über ihn im zivilen Bezirksgericht in Tel Aviv zu verhandeln. Er focht diese Entscheidung unter Berufung auf die Genfer Konvention und seinen Diplomatenstatus an und verweigerte fortan, als seinem Antrag nicht stattgegeben wurde, jede aktive Teilnahme am Prozess. Weder sein anwesender Anwalt noch er stellten den Zeugen eine Frage. Erst beim Schlussplädoyer, das über eine Stunde dauerte, meldete er sich wieder zu Wort. Im Jahr 2004 wurde er zu fünf Mal lebenslänglich plus 40 Jahre Haft verurteilt.
Das Militärgericht in Ofer verfügt über 17 reguläre Richter, die durch einige Dutzend Richter ergänzt werden, die Reservisten sind. Das Gericht ist absolut weisungsfrei.
Für das nördliche Gebiet gibt es zwei Gerichte erster Instanz (Ofer und Salem) und zusätzlich spezielle Gerichte für jugendliche Straftäter, die hier zweimal pro Woche tagen. Das Gericht in Ofer dient auch als zweite Instanz für beide Gerichtsplätze. Pro Jahr werden hier ca. 700 – 900 Fälle in der ersten Instanz verhandelt.
Ein weiteres spezielles Gefängnis, das ausschliesslich der Sicherheitsverwahrungen von Bürgern dieser Region dient, gibt es noch im Süden des Landes. Die Sicherheitsverwahrung soll im Prinzip eine Art Abschreckung vor einer weiteren Straftat sein. Ob diese Art der Bestrafung tatsächlich präventiven Charakter hat, mag dahingestellt sein. Bevor ein Verdächtiger in Sicherheitsverwahrung genommen werden kann, durchläuft er ein Verfahren von einigen Tagen, in dem die Vorwürfe gegen ihn geprüft werden. Ein anderer Grund für die, dann meist verlängerte Sicherheitsverwahrung, ist die Vorbereitungszeit für die Einstufung als Gerichtsfall. Die Dauer der Verwahrung beträgt in der Regel maximal 6 Monate, kann aber jederzeit verlängert werden. Jugendliche ab 12 Jahren können ebenfalls verwahrt werden, mit diesem Alter beginnt in Israel die eingeschränkte Strafmündigkeit. In den Augen von israelkritischen NGOs wird die Sicherheitsverwahrung seitens Israel zu hart, vor allem für palästinensische Jugendliche, angewendet. Es sollte nicht notwendig sein, darauf hinzuweisen, dass die gleiche Rechtsprechung für gleiche Taten bei israelischen und palästinensischen Bürgern zum Tragen kommt! Dies betrifft auch begleitenden Massnahmen, wie die Sicherheitsverwahrung.
Ab dem Moment, in dem ein palästinensischer Angeklagter in einem Gefängnis verwahrt wird, wird er automatisch zu einem bezahlten Mitarbeiter der PA. Für diesen Schritt ist es ausreichend, wenn die Familie bei der entsprechenden Stelle die Festnahme meldet. Während seiner Verwahrung und der anschliessenden Haft erhält er pro Monat bis zu US$ 3.000,–. Die Summe wird auf sein eigenes Konto eingezahlt. Sollte er zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt werden, so erhält seine Familie seinen „Lohn“. Kein Wunder, dass bei den teilweise sehr schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen innerhalb der palästinensischen Bevölkerung der Anreiz für einen Terrorakt sehr hoch ist!
Verhandelt werden nur Straftaten von palästinensisch-arabischen Bürgern der Gebiete. Dabei ist es unmassgeblich, ob die Straftat in Israel oder in den Gebieten ausgeführt wurde. Die Straftaten können sogar im Ausland stattgefunden haben. Massgeblich für die Wahl des Gerichtsortes ist ausschliesslich, dass die Straftat in irgendeinem Zusammenhang mit der Sicherheit der Gebiete zu tun hat. Einbruch und Diebstahl z. B. gehören nicht dazu!
Die beiden 11 und 13 jährigen Terroristen, die am 10.11.15 eine Messerattacke im Light Train in Jerusalem durchzuführen versuchten, stammen aus dem Jerusalemer Vorort Shuafat, der zwar aus Sicherheitsgründen von einer Mauer abgegrenzt wird, aber innerhalb der „grünen Linie“ liegt und damit zu Westjerusalem gehört. Ihr Fall wird von einem Gericht in Jerusalem verhandelt werden. Shuafat liegt in Sichtweite des Hauptquartiers der Grenzpolizei, die auch für den Übergang Kalandia zuständig ist.
Bei der Verhandlung, die von uns mit ShuratHadin besucht wurde, standen vier Personen vor Gericht: ein Mann mittleren Alters, in dessen Haus man eine grosse Zahl Waffen gefunden hatte. Teilweise waren diesen Waffen gekauft, teilweise wohl auch selber zusammengebaut worden. Wir waren nur anwesend, während seine Personalien aufgenommen wurden. Mit ihm in der Angeklagtenbox sassen drei junge Männer, die angeklagt waren, Steine gegen Siedler und IDF Soldaten geworfen zu haben.
Das Leben im Gefängnis von Ofer schien ihnen bisher nicht geschadet zu haben, kein Wunder, erhalten sie dort doch eine exzellente Betreuung und Verpflegung. Sie können ihre nicht abgeschlossene Schulbildung nachholen und in besonderen Fällen auch ein Studium absolvieren.
Trotzdem schien der Angeklagte, der vom Richter mehrfach aufgefordert wurde, stehen zu bleiben (während die anderen noch sitzen durften) einen durchaus verständlichen Hass auf uns zu haben. Wenn Blicke hätten töten können!
Die Besucherreihen waren voll, da ausser uns auch Familie und Freunde der Angeklagten anwesend waren. Entgegen anderslautenden Berichten von Kritikern Israels muss ich festhalten, dass die Angeklagten weder an den Händen, noch an den Füssen gefesselt waren. Neben uns sass auch nicht, wie andernorts behauptet, ein „Wachmann“, der auf uns aufpasste. Wir durften auch ungehindert fotografieren. Sogar eine Kontaktaufnahme mit der Mutter eines jugendlichen Angeklagten war möglich, konnte allerdings wegen des Fehlens einer gemeinsamen Sprache nicht fortgesetzt werden.
Jeder einzelne Satz wird während der Verhandlung für den Angeklagten übersetzt, damit keiner im Nachhinein behaupten kann, etwas nicht verstanden zu haben. Selbstverständlich hat jeder Angeklagte den Anspruch auf einen Verteidiger seiner Wahl, wenn er einen solchen nicht benennt, wird ihm einer zur Seite gestellt.
Der Gerichtsbereich in Ofer ist ebenso abgeschirmt und beschützt, als ich es im STASI-Gefängnis in Berlin gesehen habe. Enge Laufwege, Stacheldrahtzäune, Stacheldrahtdecken, alles elektrisch unterstützt. Auch das Wissen, dass ich hier jederzeit wieder rausgehen kann, hilft nicht so viel, die Luft wird ein wenig eng.
Das dem Gerichtsbereich vorgelagerte Gefängnis von Ofer wirkt schon rein äusserlich beängstigend. Dass es in diesem ockergelben, stacheldrahtbewehrten Gebäude so etwas wie Hoffnung gibt, ist für mich kaum vorstellbar. Etwa 600 Palästinenser sind hier inhaftiert. Besuche von Verwandten sind jederzeit möglich, allerdings muss vorher ein Antrag entweder bei der Verwaltung gestellt werden, dessen Bewilligung aber in der Regel zügig vor sich geht.
Seit der Gründung des Gefängnisses und der Installation des militärischen Gerichtshofes im Jahr 1967 wurden hier ca. 800.000 Gerichtsfälle verhandelt. Unter den Angeklagten waren auch 500 bis 700 Kinder und Jugendliche pro Jahr.
Der Gerichtshof von Ofer besteht aus Wellblechbaracken. Nichts ist modern, teuer oder fancy. Es herrscht ein absolut nüchterner und minimalistischer Stil. Die Laufwege zwischen den Containerhäusern sind eng, selbst wenn jemand fliehen wollte, er hätte kaum eine Chance. Nach oben sind die Laufwege mit Stacheldraht bewehrt, die Zwischenwände sind unüberwindbar. Die klimatisierten Gerichtsräume können, wenn man einmal die Kontrolle am Haupttor hinter sich gebracht hat, ohne Problem betreten und verlassen werden. Keine Cafémaschine blubbert, keiner der sonst allgegenwärtigen gekühlten Wasserspender hilft, den ärgsten Durst zu stillen. Dafür stehen lauwarme Flaschen mit Wasser bereit, bei denen sich jeder bedienen darf.
Wir sind im November da, es ist kühl und wolkig. Wie aber ist es hier in den Sommermonaten, wenn die Gluthitze von den Steinen reflektiert wird? Ofer muss für die Angeklagten, von denen kaum einer auf einen Freispruch hoffen darf, wie der Vorhof der Hölle sein.
Wenn sie auf dem Weg zum gepanzerten Fahrzeug sind, dass sie vom Gericht in das 100 m entfernte Gefängnis bringt, sehen sie vor sich auf dem Hügel, Ramallah und hinter sich, ebenfalls auf einem Hügel, Jerusalem.
Und ringsum die neu entstandenen israelischen Siedlungen, die für die Sicherheit und damit auch das Leben von uns Israelis garantieren.
Bei allem aufkommenden Mitgefühl, wir dürfen niemals vergessen, dass es Menschen wie die hier inhaftierten waren und derzeit wieder tagtäglich sind, die Terror gegen Unschuldige ausüben. Sie nehmen keine Rücksicht auf das Alter und das Geschlecht ihrer Opfer. Niemand hat sie gezwungen, zum Mörder zu werden. Die Ursache und Schuld in der angeblichen Besatzung „ihres“ Landes zu suchen, zeigt ein falsches Bild. Es ist auch nicht eine angebliche Hoffnungs- und Perspektivelosigkeit, die die Terroristen antreibt. Die Schuld liegt in den allermeisten Fällen in der Aufhetzung durch ihre politische und religiöse Führung, die immer wieder dazu aufruft, Juden zu töten. Und die ihnen für jeden toten Juden nicht nur Ehre, den Märtyrerstatus verspricht, sondern auch eine grosszügige finanzielle Unterstützung.
Von Esther Scheiner
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