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Als Nazi-Deutschland die Grenzen schloss suchten Juden einen Ausweg in der Flucht

Nach den Pogromen im November des Jahres 1938 versuchten weite Teile der jüdischen Bevölkerung aus dem Reich der Nazis zu flüchten; – bei der Wahl des Aufnahmelandes durften sie nicht zimperlich sein, denn schließlich hielten die meisten Staaten an strengen Einwanderungskriterien fest. Besonders nach Beginn des Hitlerischen Angriffkrieges verschärften sich die Bedingungen für Flüchtlinge noch einmal. Von den über 500.000 deutschen Juden verließen bis Anfang 1938 nur rund 170.000 Nazi-Deutschland. Die Mehrheit verharrte in der Position des Abwartens und betrachtete die Naziherrschaft als ein kurzlebiges Phänomen, das man durchstehen müsse. Nach dem „Anschluss“ Österreichs, spätestens jedoch mit dem Novemberpogrom 1938 war der jüdischen Bevölkerung endgültig klar, dass das Leben unter nationalsozialistischer Knute nicht mehr möglich war.

Bevorzugten Flüchtlinge zuerst unmittelbare Nachbarländer, die USA und Palästina, so hatten sie, nachdem die meisten Länder ihre Grenzen geschlossen hatten, bald keine Wahl mehr. Sie bewarben sich um Visa für Australien, die Philippinen, Trinidad, chile, Peru, Bolivien, Argentinien, Brasilien, Mexiko, Kuba, Uruguay, Paraguay und andere exotische Länder, die oftmals erst auf den Landkarten gesucht werden mussten. Die Asylländer waren auf die Vehemenz und Dringlichkeit der Emigration völlig unvorbereitet. Im Juli 1938 fand auf Einladung von Präsident Roosevelt in Evian am französischen Ufer des Genfer Sees eine internationale Konferenz zur Flüchtlingsproblematik statt. Das enttäuschende Ergebnis: vage Zusagen einiger Staaten, dass die Einwanderungsquote in Zukunft voll ausgeschöpft werden könne.

Ausreisewillige Juden vor dem Reisebüro Palestine Orient Lloyd in Berlin. Foto: Archiv/RvAmeln

Ausreisewillige Juden vor dem Reisebüro Palestine Orient Lloyd in Berlin. Foto: Archiv/RvAmeln

Doch die wesentlichen Hindernisse einer Ausreise blieben bestehen, jedes Land definierte weiterhin bürokratisch sorgfältig Bedingungen und Voraussetzungen für eine Bewerbung, so waren etwa nur bestimmte Berufsgruppen erwünscht. Der Schweizer Konsul forderte einen Sichtvermerk in die Pässe der Juden, man einigte sich auf ein eingestempeltes „J“. Auch in Palästina, das der Völkerbund 1920 England als Mandat übertragen hatte, war als Folge des arabischen Aufstandes – 1936 bis 1939 – die Einwanderung durch das „Weißbuch“ mit einem komplizierten Quotensystem limitiert. Als die Verfolgung der Juden in Nazi-Deutschland immer bedrohlicher wurde, versuchten jüdische Flüchtlinge mithilfe jüdischer Organisationen illegal ins Land zu kommen.

Auf zum Teil maroden, verrosteten Schiffen gelangten sie über die Donau und das Schwarze Meer nach Palästina. Doch nicht allen gelang die Ankunft im „gelobten Land“. Die Engländer hinderten überfüllte Schiffe an der Landung, die dann oft über Monate hinweg im Mittelmeer herumirrten, da kein Land sie aufnehmen wollte. Einige der Schiffe wurden auch abgefangen und die Flüchtlinge auf Zypern oder Mauritius bis Kriegsende interniert. Jüdische Flüchtlinge gerieten auf ihrer Flucht nach Palästina auch erneut in die Fänge der Nazis. In Kladwo, im damaligen „Königreich Jugoslawien“ wurden rund tausend auf ihrer Flucht nach Palästina von der deutschen Wehrmacht brutal ermordet. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges schränkte die bereits ohnehin limitierten Fluchtmöglichkeiten massiv ein.

Als einer der letzten Zufluchtsorte galt Shanghai, das als internationale, offene Hafenstadt – eigentlich eine folge des Kolonialismus – Verfolgten auch ohne Visum Aufnahme gewährte. Wer in einem Reisebüro eine Schiffskarte ergatterte, konnte sich bis zum Ausbruch des Pazifik-Krieges 1941 nach China retten. Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges war die Reise in diese mythenumwobene Hafenstadt jedoch nur mehr mit der transsibirischen Einsenbahn möglich. Das Überleben in Shanghai, einer Stadt, in der Reichtum und bitterste Armut ganz eng nebeneinander lagen, gestaltete sich äußerst schwierig. Die meisten Flüchtlinge mussten sich im Stadtteil Hongkew, der infolge des japanisch-chinesischen Krieges vom Jahre 1937 noch zerbombt und von den Japanern besetzt war, mit den ärmsten Chinesen auf engstem Raum ansiedeln.

Nach Ausbruch des Pazifik-Krieges besetzte Japan zudem die internationalen Stadtteile von Shanghai. Am 18. Februar 1943 erließ die japanische Besatzungsbehörde eine Verordnung, wonach sich alle staatenlosen Flüchtlinge im Stadtteil Hongkew ansiedeln mussten. Wer über 13 Jahre alt war, durfte das „Shanghaier Ghetto“ ohne Passierschein nicht verlassen, womit für viele die Möglichkeit zur ökonomischen Versorgung vollends abgeschnitten war. Für die meisten Flüchtlinge gestaltete sich das Leben in Shanghai als ein täglicher Kampf ums Überleben. Und nicht zuletzt reichte der Arm der Gestapo bis nach Shanghai, wo nationalsozialistische Organisationen und Machthaber wiederholt versuchten, die Japaner zu antijüdischen Maßnahmen zu bewegen.

Aufgrund des massiven Druckes von Hitlerdeutschland und der Unberechenbarkeit der japanischen Verbündeten konnten sich die jüdischen Flüchtlinge selbst am anderen Ende der Erde nie ganz sicher fühlen. Insgesamt überlebten rund 25.000 Flüchtlinge aus Deutschland, Österreich, der Tschechoslowakei und Ungarn in diesem für Europäer so schwierigen Exilland. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verschlechterten sich die Exilbedingungen auch in all jenen Ländern, die sich mit Deutschland im Krieg befanden. In Frankreich galten Hitlerflüchtlinge bereits ab 1. September 1939 als „sujets ennemis“. Am 4. September mussten sich alle „Männer des Deutschen Reiches“ zwischen 17 und 50 Jahren umgehend in Sammellagern einfinden, wo primitive Lebensumstände und ein administratives Chaos herrschten.

Unter den Flüchtlingen wurde relativ willkürlich unterschieden zwischen „unerwünschten Personen“, die in ein Straflager kamen, „zu überwachenden Personen“, für die beispielsweise das Lager Gurs vorgesehen war, und „ruhigen Elementen“, die in über 100 Sammellager transportiert wurden. Mitte Januar 1940 wurden die meisten „politisch Unverdächtigen“ wieder entlassen und erhielten das Angebot, der Fremdenlegion beizutreten oder sich dem militärischen Arbeitsdienst anzuschließen. Beim Zusammenbruch Frankreichs befanden sich somit bereits tausende jüdische Flüchtlinge in Lagern. Wem die Flucht aus solchen Lagern gelang, der schloss sich der massiven Fluchtbewegung in die freie Zone im Süden an. Marseille wurde zum tor der Welt, einigen gelang die Flucht nach Spanien und Portugal, von dort in die USA oder nach Kuba.

Jüdische Kinder aus Deutschland an Bord der "Präsident Harding" im Hafen von New York, Juni 1939. Foto: Archiv/RvAmeln

Jüdische Kinder aus Deutschland an Bord der „Präsident Harding“ im Hafen von New York, Juni 1939. Foto: Archiv/RvAmeln

Mit der Besetzung der freien Zone im November 1942 verschärfte sich die Verfolgung erneut. Für 30.000 Flüchtlinge, davon rund 7.000 Deutsche jüdischer Herkunft erwies sich das Exil in Frankreich als Falle. Unter Mithilfe der französischen Kollaborateure setzten im Sommer 1942 die Deportationen von insgesamt 76.000 französischen und ausländischen Juden in die Todesfabriken im Osten ein. (Erst im Jahre 1995 erkannte Präsident Jacques Chirac Frankreichs Mitbeteiligung an der Shoah an. Anm.d.Verf.) Auch England, wo insgesamt 75.000 zumeist jüdische Flüchtlinge aus Europa Aufnahme gefunden hatten, behandelte mit der Kriegserklärung deutsche Flüchtlinge als „enemy aliens“. Sämtliche an „feindliche Ausländer“ bereits ausgestellte Visa verloren ihre Gültigkeit.

Aus Angst vor nationalsozialistischen Sabotageakten und der Bildung einer „5. Kolonne“ wurden Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich vor Ausländergerichte zitiert, um ihre tatsächliche Bedrohung für das Land herauszufinden. Als Kategorie A galten Personen, deren Loyalität bezweifelt wurde, unter Kategorie C fielen alle Zuverlässigen und Kategorie B umfasste eine Art Mittelstufe, die im Unterschied zu A nicht interniert, sondern „nur“ überwacht werden sollte. Im Sommer des Jahres 1940, auf dem Höhepunkt der Internierungen, waren insgesamt über 27.000 deutsche und österreichische Flüchtlinge, darunter 4.000 Frauen mit Kindern interniert. Die meisten befanden sich – gemeinsam mit Nazis – auf der Isle of Man, dem weitaus größten britischen Internierungslager.

Mit zunehmender Kriegsangst wurden „enemy aliens“ auch in die englischen Dominions Kanada und Australien geschickt. Als eines dieser Schiffe, die „Arandora Star“ torpediert wurde, starben 174 deutsche und österreichische sowie 486 italienische Internierte. Als wegen eines Zwischenfalles mit der „Arandora Star“ in England im Land die Kritik an dieser Internierungspolitik immer lauter wurde, hob die Regierung im Sommer 1940 die Internierung weitgehend auf und England galt im Großen und Ganzen als Exilland, dem man sich für seine Rettung und neue wirtschaftliche Existenz zu Dank verpflichtet sah. Einige tausend männliche wie weibliche jüdische Flüchtlinge stellten sich im Kampf gegen Hitlerdeutschland auch der britischen Armee zur Verfügung und kämpften äußerst tapfer.

Von Rolf von Ameln

Rolf von Ameln, ist Buchauthor und seit 20 Jahren Korrespondent der Israel-Nachrichten in Deutschland

 

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Von am 28/10/2015. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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