Die Geschichte von Hohenems
Wer heute durch Hohenems fährt, kann sich kaum noch vorstellen, dass es in dieser Stadt einmal ein lebhaftes jüdisches Leben gegeben hat.
Erst 1983 erhielt die Stadt das Stadtrecht zugesprochen, mit knapp 16.000 Einwohnern ist sie vor Bludenz die kleinste der fünf Vorarlberger Städte. Schon 1333 wurde Hohenems das Stadtrecht einmal zugesprochen. Allerdings reichten damals die finanziellen Mittel nicht aus, um die notwendige Stadtmauer zu errichten.
Ab wann genau die ehemalige Grafschaft Ems besiedelt wurde, ist nicht belegt. Erstaunlich ist, dass es in dieser kleinen Grafschaft insgesamt zwei Burgen und einen Palast gab. Die erste Anlage „Alt Ems“, Ende des 12. Jahrhunderts, wurde wahrscheinlich nicht durchgehend bewohnt, sondern diente als Gefängnis für prominente Gefangene. 1406 wurde sie durch Appenzeller Söldner niedergebrannt.
Um 1343 entstand die zweite Burganlage, Schloss Glopper, die 1843 an das Grafengeschlecht Waldburg-Zeil fiel, das heute im Renaissance Palast im Stadtzentrum lebt. Der Palast wurde zwischen 1562 und 1567 erbaut und beherbergt heute die gräflichen Wohnungen, kulturell genutzte Räumlichkeiten, einen Schreinerei und ein Restaurant.
1560 wurde Ems, jetzt Hohenems, zur Reichsgrafschaft erhoben und unterstand damit nur mehr dem Kaiserhaus. Unter Graf Kaspar von Hohenems, prosperiert die Grafschaft wie niemals zuvor. Zu Zeiten der extremsten Ausbreitung gehörten zur Grafschaft Hohenems die Schlösser Alt-Ems und Neu-Ems, der Oberdorfer Thurn in Dornbirn und Schloss Vaduz. Die Orte Dornbirn, Widnau-Haslach, die Grafschaften Gallara bei Mailand und Vaduz und die Herrschaft Schellenberg, die Herrschaften Lustenau in Vorarlberg, Widnau in der Schweiz sowie Polička, Bonna, Trepien, Laubendorf und Bistrau in Böhmen.
Reichsgraf Kaspar war es, der das jüdische Leben in Hohenems förderte. 1617 ermöglichte ein Schutzbrief die Ansiedlung jüdischer Familien. Sie durften sich nahe des Stadtzentrums in einem nicht abgeschlossenen Gebiet ansiedeln. Der Reichsgraf, der für seine exzessive Landnahme immer wieder neues Geld brauchte, erhoffte sich von den jüdischen Mitbürgern eine Stärkung der Wirtschaft. Selbstverständlich erhoffte er sich auch Kredite zu optimalen Bedingungen. Doch irgendwann gelang es ihm nicht mehr, die Kredite zu bedienen und er entzog den Juden kurzerhand den gewährten Schutz, um ihn aber nach kurzer Zeit wieder neu zu gewähren. Diese zweite Ansiedelung von jüdischen Familien entwickelte sich zu einer win-win Geschichte für beide Seiten. Tatsächlich wurde die Wirtschaft angekurbelt und das jüdische Leben prosperierte. Auf der anderen Seite konnte sich Reichsgraf Kaspar auf „seine“ Juden verlassen, wenn es darum ging, seine Finanzen aufzubessern.
Das jüdische Hohenems einst und jetzt
Eine Synagoge entstand, in unmittelbarer Nähe wurden eine Mikwe und eine Schule gebaut. Als Besonderheit und bis dahin in Vorarlberg noch unbekannt, entstand ein Alters- und Armenheim. Der Friedhof wurde südöstlich außerhalb der Stadt angelegt.
Die ab 1828 in Betrieb gegangene Schule wurde bereits 1851 zu einer „Höheren Bürgerschule“ für Jungen und Mädchen aufgewertet. Neben den klassischen allgemeinbildenden Fächern wie Deutsch und Rechnen, Geschichte und Geografie wurde auch Französisch und Italienisch, Buchhaltung, Wirtschaft, Geschichte und Geografie unterrichtet. Dazu kamen die jüdischen Inhalte, wie Religion und Hebräisch.
Die Schule entwickelte so einen guten Ruf, dass nicht nur nicht-jüdische Lehrer gerne dort unterrichteten, sondern auch nicht-jüdische Schüler am Unterricht teilnahmen. Auch für christliche Mädchen bot diese Schule die einzige Möglichkeit, in einer ordentlichen Schule mit einem gesicherten Curriculum zu einer, für damalige Zeiten, hervorragenden Ausbildung zu kommen. 1896 wurde jedoch den christlichen Kindern der Besuch in den „Judenschule“ verboten. 1913 wurde sie, nachdem die jüdischen Bewohner mehr und mehr aus Hohenems abwanderten geschlossen.
1862 trat Josef Federmann seine Stelle als Lehrer an, die er für 51 Jahre innehatte. Viele Großeltern und Urgroßeltern der heutigen Hohenemser werden noch Schüler dieses legendären Lehrers gewesen sein.
Eine zweite Besonderheit war das 1797 durch Jakob Kitzinger gegründete Kaffeehaus, in dem sich die verschiedenen sozialen Vereine der jüdischen Gemeinde regelmäßig trafen. Am beliebtesten war die Lesegesellschaft, an die im Jüdischen Museum in Hohenems eine nachempfunden Leseecke erinnert.
Die in der Nähe der Synagoge angesiedelten Häuser, die heute bis auf das Haus des Rabbiners, das nach der Machtergreifung abgerissen wurden, alle noch stehen, zeugen davon, dass die Juden in Hohenems durchaus ihren Gewinn aus dem wirtschaftlichen Wohnstand gezogen haben. Ohne sie wäre der Sprung in die Moderne dem damals eher verträumten Ort kaum möglich gewesen. An den rechten Türstöcken findet man, sofern das Haus nicht verputzt worden ist, noch deutlich die Abdrücke der jeweils bei Wegzug vom Besitzer abmontiertem Mesusot.
Dass es auch bei den Juden soziale Unterschiede gab, lassen die Häuser erkennen. Es gibt die Villen der Großindustriellen, z.B. die, die heute das Jüdische Museum beherbergt, die Bürgerhäuser, die etwas weiter entfernt von der Synagoge lagen und die Häuser der Handwerker und Hausierer, die sich in den nicht ganz so prominenten Sträßchen des Viertels angesiedelt hatten.
Die Einwohnerzahlen der jüdischen Gemeinde stiegen bis auf 564 Seelen an. Als jedoch 1867 die freie Wahl des Wohnortes auch für Juden eingeführt wurde wanderten zahlreiche Einwohner in die umliegenden Orte ab. 1890 lebten nur noch 118 Juden in Hohenems, im Jahr 1935 nur mehr 35.
1938 wurde jegliches jüdische Eigentum durch die Gemeinde Hohenems beschlagnahmt, die jüdische Gemeinde wurde aufgelöst und die noch verblieben Juden wurden deportiert.
Nach dem Krieg erwarb die Gemeinde Hohenems das Haus der ehemaligen Synagoge von der IKG Innsbruck. Das Gebäude wurde jahrzehntelang als Feuer- und Spritzenhaus genutzt. Bis zum Beginn der 90er Jahre, als Hohenems begann, sich mit seiner jüdischen Geschichte auseinander zu setzen, „prangte“ am Feuerwehrhaus eine Tafel, die besagte, dass dieses Haus in den Jahren 1954/55 erbaut worden sei.
Es ist der Kultusgemeinde St. Gallen zu verdanken, dass der alte jüdische Friedhof nicht aufgelöst wurde. Geplant war, aus dem Holz des alten Zedernbaumbestandes Bleistifte herzustellen und das Gebiet für eine Baumschule für Weihnachtsbäume zu nutzen. Heute wird er von einer privaten Gesellschaft der St. Galler Jüdischen Gemeinde betreut und erhalten.
Ab 1996 wurden die historischen Gebäude unter Denkmalschutz gestellt, 2010 wurde das jüdische Viertel gesamthaft unter Ensembleschutz gestellt. Immerhin ist die Altstadt von Hohenems das einzige, weitgehend komplett erhaltene jüdische Viertel in Europa. Die Bedeutung der Juden für Hohenems mag auch die Besonderheit Zeugnis ablegen, dass das Zentrum der Altstadt von der Judenstrasse und der Christenstrasse umringt wurde. Eine Straße dieses Namens ist einmalig im europäischen Sprachraum. Das so gestaltete Stadtzentrum ist auch der Beweis für ein langandauerndes friedvolles und gewinnbringendes Miteinander beider Gemeinden.
Das Jüdische Museum Hohenems wurde im April 1991 in einer der wunderschönen Villen jüdischer Industrieller, in diesem Fall in der Villa Heimann-Rosenthal eröffnet. Neben einer informativen Dauerausstellung, die das Leben der Hohenemser Juden in den Großteiles noch original dekorierten Privaträumen der Familie erzählt, gibt es immer wieder spannende Sonderausstellungen und Vorträge.
Unter dem Titel „Ein Viertel Stadt“ erarbeitete das Jüdische Museum ein Projekt, bei dem auf die bestehenden Häuser die Geschichte dahinter, wie sie einmal war, mit Lichtinstallationen lebendig gemacht wurde.
In der ehemaligen Synagoge fanden nach einem behutsamen Rückbau der groben Verschandlungen aus den 50er Jahren in ein nahezu authentisches Erscheinungsbild des ehemals klassizistischen Gebäudes, der Salomon Sulzer Kultursaal und die Musikschule ihren Platz.
Die Mikwe wurde, soweit es der bauliche Zustand des Tauchbeckens architektonische zuliess, saniert und dient heute als Dokumentationsort über jüdische Ritualbäder.
Im alten Schulhaus wurde nach langen Diskussionen ein Restaurant eröffnet, das „Moritz“; ergänzt wird das Angebot des Hauses durch den „Federmann“ Kultursaal. Der Name beider Betriebe zusammen ist eine Hommage an den beliebten langjährigen Lehrer, der die Schule zu der modernen Bildungseinrichtung machte, als die sie lange bis über die Stadtgrenzen von Hohenems hinaus bekannt war. Den Schritt, auch einen klaren Bezug zum jüdischen Hohenems herzustellen, trauten sich die Eigentümer der Liegenschaft dann doch nicht: Schwein und Meeresfrüchte stehen findet man durchaus auf der Karte.
Traurig ist, dass das, was die Nationalsozialisten nicht schafften, fremdenfeindliche und antisemitische Verbrecher nun zum wiederholten Mal geschafft haben. Am vergangenen Wochenende wurde sowohl der Jüdische Friedhof, als auch der neue Islamische Friedhof in Altach mit Hakenkreuze und ausländerfeindlichen, sowie antisemitischen Parolen beschmiert. Die Polizei vermutet einen Zusammenhang mit den Vorkommnissen vom 04. Oktober, als Häuser des Jüdischen Viertels, sowie eine Flüchtlingsunterkunft ebenfalls ein Oper solcher Attacken wurden.
Von Esther Scheiner
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