Nach Ende des Ersten Weltkrieges wurde Deutschland von den Olympischen Spielen ausgeschlossen, und die Austragung der Spiele in Nazi-Deutschland war mehr als umstritten. Die Neustrukturierung Europas nach 1918 hatte auch sportpolitische Konsequenzen für die Verlierer des Krieges, uns so wurde das Deutsche Reich bis zum Jahre 1925 aus dem Olympischen Komitee ausgeschlossen. Und es war Resultat teils deutscher sportpolitischer Aktivitäten, teils geänderter politischer Verhältnisse, dass Berlin auf der IOC-Sitzung 1931 in Barcelona mit der Austragung der Sommerspiele für das Jahr 1936 betraut wurde. Nach der „Machtergreifung“ der Nazis beschränkten sich Aufrufe zum Boykott auf jüdische und linke Kreise in den USA und Frankreich; ansonsten berief man sich auf das Credo des bürgerlichen Sports, dieser habe mit Politik nichts zu tun.
Das IOC formulierte unmissverständlich: „Die innenpolitischen Verhältnisse des Dritten Reiches kümmern den Internationalen Olympischen Kongreß nicht“ – und begnügte sich mit einer Garantieerklärung Deutschlands, die „Olympische Idee“ zu akzeptieren, was die Zulassung jüdischer Sportlerinnen und Sportler und ein unabhängiges Organisationskomitee inkludierte, das – wie schon bei den Winterspielen 1936 in Garmisch-Partenkirchen – von Carl Diem und Theodor Lewald geleitet wurde. Die Einhaltung sportlicher wie olympischer Werte wurde von der Nazi-Regierung zugesagt – damit galten die Spiele ab Sommer des Jahres 1933 als gesichert. Eine letzte Chance, die „Nazi-Spiele“ zu verhindern, vereitelte im Dezember 1935 der Vorsitzende des amerikanischen nationalen olympischen Komitees (NOK), Avery Brundage, der durch diverse Machenschaften einen Boykott durch das US-Team unterband.
Dieser Entscheidung schlossen sich die meisten anderen Nationen an. Proteste beschränkten sich von da an auf die Arbeitersportbewegung und einige antifaschistische Gruppen, die neben Aktionen im Deutschen Reich für den Juli 1936 auch eine Volksolympiade in Barcelona vorbereiteten, die wegen des Spanischen Bürgerkrieges aber kurzfristig nach Amsterdam verlegt werden musste. Dort wurde auch eine Kunstausstellung unter dem Titel „Olympia unter der Diktatur“ gezeigt. In Berlin wie im gesamten Deutschen Reich waren zu diesem Zeitpunkt die Vorarbeiten nahezu abgeschlossen. Das betraf zum einen die Sportanlagen, also das Reichssportfeld mit seiner zentralen Arena, dem Olympiastadion, aber auch einer „Langemarck-Halle“ und einem „Führerturm“. Das betraf zum zweiten die Organisationsstrukturen vom – von der Wehrmacht errichteten – Olympischen Dorf über eine KDF-Stadt (Kraft durch Freude, die Nazi-Freizeitorganisation) für deutsche Besucherinnen und Besucher bis zum Verkehrskonzept.
Und das galt zum dritten für die politisch-kulturellen Rahmenbedingungen: Antisemitische Töne wurden aus den Medien und aus dem Stadtbild entfernt, der Jazz kehrte kurzfristig in die Bars zurück. Das Hetzblatt „Der Stürmer“ verschwand vorübergehend aus den Kiosken und wurde durch internationale Zeitungen ersetzt. Militär- und Parteiformationen wie SA, SS und HJ sollten freundlich und zurückhaltend agieren. Über die Bewertung der Veranstaltung, was die Indoktrination durch die Nazis betrifft, herrscht in der Wissenschaft und populären Darstellungen Einigkeit. Man spricht von der Indienstnahme des Sports, von einer Funktionalisierung und Instrumentalisierung. Die Berliner Spiele hätten eine Verletzung der Olympischen Idee und den Missbrauch des Sports durch eine politische politische Propagandamaschinerie dargestellt, aufbauend auf einer bewussten und geplanten Täuschung der eigenen Bevölkerung und vor allem der internationalen Staatengemeinschaft, der Deutschland als friedliebendes, soziales und wirtschaftlich aufstrebendes Land vorgeführt werden sollte.
Gelungen sei letztlich noch mehr als das: Weil Deutschland, alle Prognosen und Hoffnungen übertreffend mit 33 Goldmedaillen – vor den USA mit 24 – zur „führenden Sportnation der Welt“ aufstieg, konnte auch die Überlegenheit des Deutschen Reiches und – wenn man es so sehen wollte – der deutschen „Rasse“ bewiesen werden. Auf der anderen Seite bewunderten Teilnehmer, Zuschauer und auch ausländische Journalisten die Perfektion der Durchführung: Es seien neue Maßstäbe für Sportgroßveranstaltungen gesetzt worden. Mit 49 teilnehmenden Nationen und 3.961 Athletinnen und Athleten, die in 19 Sportartetn gegeneinander antraten, wurde ein neuer Teilnehmerrekord aufgestellt. Die Zuschauerzahlen konnten gegenüber der Veranstaltung in Los Angeles im jahre 1932 verdreifacht werden. Fast vier Millionen Eintrittskarten wurden trotz vieler Gratistickets verkauft. Die Atmosphäre wurde von Sportlern und vom Publikum als überaus positiv erlebt, man fühlte sich in der mit Fahnen und Girlanden geschmückten Stadt Berlin ebenso wohl wie auf den bestens gepflegten und ausgestatteten Sportstätten.
Gerade dort erwiesen sich die Spiele von 1936 als Wegbereiter der Moderne, was den Anlagenbau, den Einsatz elektrischer Startpistolen und die Zeitnahme ebenso wie die automatische Zielfotografie betraf. Doch auch die Medienberichterstattung wurde, von den Arbeitsbedingungen für Journalisten bis zu den ersten Fernsehübertragungen und den Riefenstahl-Filmen, auf eine neue Basis gestellt. So erwiesen sich die Olympischen Sommerspiele als „Gesamtkunstwerk“, vom Fackellauf bis zum Lichterdom bei der Schlusszeremonie. Die Vertreter der Instrumentalisierungsthese verweisen nicht zuletzt auf die Geschehnisse hinter den Kulissen. Das gilt für die Entfernung von Sinti und Roma aus dem Zentrum Berlins, die Errichtung des Konzentrationslagers Sachsenhausen oder zahlreiche Zensurmaßnahmen, aber auch für die bereits drastischen Folgen der NS-Politik: So hatten zum Zeitpunkt der Spiele bereits 100.000 Jüdinnen und Juden das Reich der Nazis verlassen und just am Tag der Eröffnung war eine Vorausabteilung der „Legion Condor“ nach Spanien abgeflogen.
Die Verantwortung für den Ablauf der Spiele wird oft vorschnell der Politik zugeschrieben. Diese hat eindeutig vom Sportereignis profitiert, gleichzeitig aber auch der Sport von den Bemühungen des Nazi-Regimes, die Spiele perfekt ablaufen zu lassen. Die Instrumentalisierungsthese streitet ab, dass der Eindruck in und von Berlin nicht nur „schöner Schein“, sondern auch Ralität war, und übersieht, dass die Mehrheit der aktiven Sportler ebenso wie des Publikums die Ereignisse in Berlin positiv erlebt, sie akzeptiert und mitgetragen hat. Und sie übersieht ebenso, dass die Nazi-Propaganda oft nicht den gewünschten Effekt gehabt, dass sie zur Hinterfragung und zu Kritik geführt haben kann. Vieles, was rund um die Spiele passierte, war für alle Beteiligten außergewöhnlich. Die Dynamik derartiger Massenveranstaltungen lässt sich zwar beeinflussen, aber nie vollständig steuern. Solche Erlebnisse müssen wie beim Beispiel Olympia von allen Beteiligten, von Politikern, von den Sportlerinnen und Sportlern, von den Funktionären, vom Publikum und der Bevölkerung geteilt werden, die stets die Chance haben, diese unterschiedlich zu interpretieren.
So war es etwa die Intention des Nazi-Regimes, dass der „Neger“ Jesse Owens an den Start gehen konnte und nicht öffentlich diskriminiert wurde. Seine vier Siege waren aber ebenso wenig erwünscht wie das Resultat, dass er selbst von Teilen des deutschen Publikums bejubelt und zu einem Star der Spiele wurde. Die Olympischen Sommerspiele von Berlin waren ein sportlicher Erfolg für die Teilnehmer und ein politischer Erfolg für das Regime der Nazis. Nur wer beides in die Interpretation einbezieht, kann ihre Bedeutung und Wirkung ermessen.
Anzumerken wäre noch, dass zwei „Alibi-Halbjuden“ bei den Spielen herhalten mussten: Der Eishockeyspieler Rudi Ball und die Fechterin Helene Mayer. Mayer, Olympiasiegerin von 1928, gewann 1936 für Deutschland Silber. Sehr umstritten war ihr „deutscher Gruß“ bei der anschließenden Siegerehrung.
Von Rolf von Ameln
Redaktion Israel-Nachrichten.org
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