Als wir uns 1974 auf die damals obligatorische Klassenreise nach Berlin aufmachten, kam eine unserer Mitschülerinnen in den Genuss eines Fluges. Sie war Armenierin mit französischem Pass und durfte deshalb nicht gemeinsam mit uns mit dem Zug anreisen. Während wir uns noch durch die mühsamen, stundenlangen Kontrollen am Bahnhof Friedrichstrassen quälten, wartete sie schon vor unserer Unterkunft, dem Jugendgästehaus Henry Dunant in Berlin Kreuzberg, in Sichtweite des Springer Hauses, des Anhalter Bahnhofs und … der Mauer. Auch für den Übergang zwischen West- und Ostberlin mussten wir uns von ihr trennen und konnten nur hoffen, sie am Checkpoint Charly auch wirklich wieder zu treffen.
Auf der Fahrt nach Berlin, es war der schneereiche Februar im Jahr 1974, blieb unser Zug plötzlich aus unerklärlichen Gründen stehen. Nach einer Stunde verloren wir, d. h. ca. 200 SchülerInnen, die Geduld und verliessen den Zug. Warum? Ganz einfach, wir wollten die Zeit für eine zünftige Schneeballpartie nutzen! Aber, da hatten wir die Rechnung ohne die VOPOs gemacht. Unsere „Gegner“ waren offensichtlich Strafgefangene eines Lagers, auf dessen Grund unser Zug nun stand. Die Gefangenen hatten offensichtlich gerade Hofgang (in dem Fall „Feldgang“) und hatten ebenso viel Spass wie wir an dieser unvorhergesehenen Abwechslung. Die VOPOs fanden es gar nicht lustig, fuchtelten mit ihren Gewehren vor uns herum und liessen ihre Hunde auch gefährlich nahe an uns heran. Mit dem Ergebnis, dass wir zack zack wieder in den Waggons verschwanden. Und sie uns weitere Stunden schikanierten und in der Kälte stehen liessen.
In Berlin selbst war es dann ganz schlimm.
War das Foto auf dem Ausweis zu alt, folgte eine gesonderte Befragung über eine Stunde lang.
Hatte man etwas Unerlaubtes dabei, wie ich einen DPA Presseausweis, folgte eine gesonderte Befragung über eine Stunde, Einzug des Ausweises, Rückgabe erst auf Antrag nach mehreren Stunden.
Auf Mitführen von politischen Schriften folgte die Verweigerung der Einreise.
Auf Mitführen von nicht erlaubter Musik auf Tonträgern, folgte die Verweigerung der Einreise….
Es gäbe noch jede Menge Beispiele.
So geschehen anno 1974: Deutsche besuchen Deutsche.
Niemand sprach von Apartheid, niemand sprach von Separatismus.
Mai 2015 Israel. Ein Sturm der medialen Entrüstung überzieht Israel und Europa. „Netanyahu nimmt die neue Regelung zurück, die für die Palästinenser im WJL separate Busse vorsieht.“ Habe ich etwas verpasst? Obwohl ich die Nachrichten aus Israel regelmässig mehrmals am Tag checke, war mir eine entsprechende Nachricht, die diese neue Vorschrift ankündigte nicht aufgefallen, es gab sie nicht.
Im Haaretz, dem zuverlässigsten israelischen Medium für innere Israelkritik finde ich tatsächlich einen Artikel vom 20. Mai (Mittwoch) 12:14, der berichtet, dass diese Vorschrift bereits im Januar hätte realisiert werden sollen, damals aber an organisatorischen Hindernissen gescheitert sei.
Um was geht es bei diesem „Skandal“ genau? Wer die in den letzten Wochen bei mehreren TV Sendern ausgestrahlte Reihe „24h Jerusalem“ gesehen hat, erlebte in der ersten Folge, wie anstrengend und zeitaufwendig es für einen Arbeiter aus dem WJL ist. Er muss morgens kurz nach vier Uhr sein Haus verlassen, fährt dann mit dem Auto bis in die Nähe von Bethlehem, von wo aus er mit einem Freund weiter mitgenommen wird. Irgendwann erreichen sie einen der Checkpoints.
Arbeitnehmer die über eine „Bleibebewiligung“, die sie berechtigt während eines genau definierten Zeitraumes in Israel nicht nur zu arbeiten, sondern auch zu übernachten, sowie Inhaber einer israelischen ID können durch einen eigenen Durchgang den Checkpoint passieren. Dort ist die Abfertigung schnell und unkompliziert. Wer „nur“ über ein Arbeitsvisum verfügt, muss sich in der langen Schlange anstellen. Wie schnell es geht, niemand weiss es, die Kontrollen sind umfangreich und ganz sicher auch manchmal schikanös.
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von Esther Scheiner
Redaktion Israel-Nachrichten.org
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