Nur einen Tag nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, am 23. Juni 1941, begann der sstematische Massenmord an den europäischen Juden. Ähnlich wie im „Polenfeldzug“ knapp zwei Jahre zuvor standen am Anfang Massenerschießungen jüdischer Männer, die als Vergeltung für angebliche oder tatsächliche Anschläge auf die deutsche Wehrmacht deklariert wurden. Doch binnen weniger Wochen entwickelte sich daraus ein gigantischer Massenmord, der seinesgleichen in der Geschichte sucht.
In den Gebieten der Sowjetunion, die 1941/42 von deutschen Truppen besetzt wurden, lebten ursprünglich cirka 3,5 Millionen Menschen jüdischer Herkunft. Mit der Annexion der baltischer Staaten, Ostpolens und Bessarabiens 1939/40 erhöhte sich der jüdische Bevölkerungsanteil der Sowjetunion erheblich. Das zaristische Russland hatte die Freizügigkeit der Juden bis in den Ersten Weltkrieg hinein auf die westlichen Territorien, den so genannten Ansiedlungsrajon, beschränkt. Gerade diese Gebiete überrannte die „Großdeutsche Wehrmacht“ innerhalb weniger Tage und Wochen, sodass kaum eine Möglichkeit zur Evakuierung bestand. Erst aus den altsowjetischen Gebieten konnte ein erheblicher Teil der jüdischen Bevölkerung in Sicherheit gebracht werden, östlich des Dnjepr trafen die deutschen Besatzer nur noch vergleichsweise wenige Juden an. Man geht davon aus, dass nach dem Angriff auf die Sowjetunion dort etwa 2,5 Millionen Personen jüdischer Herkunft unter deutsche Terrorherrschaft gerieten.
Da die antisemitische Interpretation eines „jüdisch-bolschewistischen“ Sowjetsystems vorgab, dass ein erheblicher Teil der sowjetischen Kader Juden seien, hingen alle Mordabsichten eng miteinander zusammen. Es hat sich bislang nicht zweifelsfrei rekonstruieren lassen, welche Mordbefehle die Einheiten von SS und Polizei, die im Mai/Juni 1941 aufgestellt wurden, erhielten. Möglicherweise lautete ihr Auftrag, alle Maßnahmen zur Sicherung der rückwärtigen Gebiete zu ergreifen, und in der Weltsicht von SS und Polizei hieß dies, vor allem gegen die Juden vorzugehen. Es kann davon ausgegangen werden, dass konkrete Weisungen existiert haben, alle wehrfähigen jüdischen Männer zu erschießen, da diese als „gefährlich“ galten. Darauf deuten jedenfalls die frühzeitig ergangenen Regelungen zur Separierung der jüdischen Kriegsgefangenen hin. Nicht nur die berüchtigten Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD, sondern ein ganzes Netz von SS, Polizei und Sicherungstruppen der Wehrmacht überzog die besetzen Gebiete vom ersten Feldzugstag an.
Zentrale Schaltstellen für den Massenmord an den Juden und später auch an Nichtjuden stellten die drei Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) dar, die unter sich alle SS- und Polizeikräfte vereinten, die großen Mordeinsätze koordinierten, anordneten und des Öfteren an den Massenmorden mitwirkten. Diese Mischung unterschiedlicher SS-, Polizei- und auch Wehrmachtsformationen wurde bereits bei den allerersten Massenerschießungen sichtbar. So ermordete ein Kommando der Gestapo in Tilsit, das im angrenzenden litauischen Grenzstreifen tätig war, bereits ab 24. Juni jüdische Männer mit Hilfe der Wehrmacht..! Das zentrale Organ zur „Gegnerbekämpfung“ in den neu besetzten Gebieten bildeten jedoch die vier Einsatzgruppen, A im Norden, B vor allem in Weißrussland, C in der Ukraine und D am Rand des Schwarzen Meeres. Als diese bereits mit den Truppen weitergezogen waren, kamen als „Einsatzgruppe z.b.V.“ (zur besonderen Verwendung) mehrere Einzelformationen hinzu.
Die Einsatzgruppen hatten vielfältige Aufgaben, von der Erbeutung gegnerischer Unterlagen bis hin zur Erstellung von Lageberichten zu Bevölkerung und Wirtschaft. Ihre zentrale Tätigkeit bestand jedoch mehr darin, Massenmorde auszuführen. Doch für die Erfüllung all dieser Aufgaben besaßen die Einheiten viel zu wenig Personal, rund 3.000 Mann auf schließlich zwei Millionen Quadratkilometern. Deshalb wurden sie von Anfang an durch Bataillone der Ordnungspolizei ergänzt, die zwar zahlenmäßig stärker waren, denen jedoch keinerlei Aufgaben wie Ermittlungen oder geheimdienstliche Tätigkeiten oblagen. Diese Bataillone unterstanden meist den HSSPF; in einigen Fällen jedoch auch den Sicherungsdivisionen der Wehrmacht. Die Männer vieler Polizeibataillone haben genauso gemordet wie ihre Kollegen von der Sicherheitspolizei, in sehr vielen Fällen organisierten sie große Massaker gemeinsam. Als dritte, lange übersehene Säule der Tötungsmaschinerie sind die Brigaden der Waffen-SS anzusehen.
Für den Feldzug gegen die Sowjetunion richtete Himmler den „Kommandostab Reichsführer SS“ ein, der die drei Brigaden bei ihren Einsätzen im Hinterland steuern sollte. Doch auch diese wurden fallweise zur Partisanenbekämpfung dem Heer unterstellt. In Wirklichkeit massakrierten zwei der drei Einheiten, die SS-Kavalleriebrigade und die 1. SS-Infanteriebrigade, bis in den Herbst des Jahres 1941 vor allem Juden in der Nordukraine und im Süden Weißrusslands. Vereinzelt haben auch noch andere SS-Verbände Verbrechen an Juden begangen. Einheiten der Wehrmacht haben in den ersten Wochen des Russlandfeldzuges an Massenerschießungen teilgenommen, und glegentlich beteiligten sich Soldaten auch als Schützen bei den Massakern von SS und Polizei. In den ersten Wochen richtete sich der Vernichtungsfeldzug eindeutig gegen jüdische Männer im wehrfähigen Alter. Diese wurden bei Razzien aus ihren Wohnungen gezerrt und in improvisierten Internierungslager gesperrt.
Bei Sektionen suchte die Polizei vor allem nach Lehrern, Staatsbediensteten und KP-Funktionären. Doch wurde dies sehr pauschal gehandhabt. Oft bestimmte man dann alle Männer mit Ausnahme einiger Handwerker und Ärzte zur Tötung. Die Massenerschießungen, die anschließend meist am Rande der Städte erfolgten, wurden in der Berichterstattung als Repressalien deklariert, in den ersten Tagen als Vergeltung für stalinistische Verbrechen, dann zusehends mit noch fadenscheinigeren Argumenten. Noch am 27. Juni 1941 trieben Angehörige des „Polizeibataillons 309“ 2.000 Juden in Bialystok in eine Synagoge und zündeten diese an. Wer zu flüchten versuchte, wurde erschossen. Wurden anfangs vor allem bestimmte Gruppen jüdischer Männer ermordet, so dehnte sich der Kreis der Opfer immer mehr auf alle Männer jüdischer Herkunft aus. Gleichzeitig, Ende Juni/Anfang Juli 1941, kam es in vielen Städten, besonders in der Westukraine, in Litauen und Ostpolen, zu blutigen Pogromen.
Antikommunistische Untergrundmilizen, etwa aus der Litauischen Aktivistenfront oder der Organisation Unkrainischer Nationalisten, und polnische Antisemiten trieben mit deutscher Genehmigung oder auf deutsche Iniative Juden, meist Männer, zusammen. Als Vorwand für diese Gewalttaten diente die Entdeckung der letzten Verbrechen des NKDW in diesen Gebieten. Die Eroberer hatten dort zehntausende Leichen von polnischen Häftlingen vorgefunden, welche die sowjetische Geheimpolizei unmittelbar zuvor beim Rückzug ermordet hatte. In der antisemitischen Interpretation sowohl der Deutschen als auch der Einheimischen wurden dafür „die Juden“ verantwortlich gemacht, weil im NKDW angeblich überproportional viel Personal jüdischer Herkunft arbeitete – was zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr stimmte -. Dass es sich bei den anschließenden Morden an Juden nicht um „spontane Rache“ handelte, zeigen sowohl die Rolle der deutschen Besatzungsmacht als auch die der aggressiven Milizen.
Dort, wo es keine Milizen gab oder wo die Milizen keine Gewalttäter duldeten, etwa in Wilna, folgten auch keine massenhaften Popgrommorde. Insgesamt sind dieser Welle der Gewalt mindestens 20.000 Juden zum Opfer gefallen. Ebenso wie die männlichen Zivilisten zählten auch die jüdischen Rotarmisten, die in deutsche Kriegsgefangenschaft gerieten, zu den ersten Opfern des Völkermordes. Über ihr genaues Schicksal gibt es bis zum heutigen Tage nur spärliche Forschungserkenntnisse. Obwohl erst Ende Juli des Jahres 1941 das Oberkommando des Heeres die Separierung der Juden in den Kriegsgefangenenlagern offiziell anordnete, unternahmen dies einige Lagerkommandanten von Anfang an. Jüdische Kriegsgefangene trugen einen aufgemalten Davidstern auf dem Rücken und lebten meist in eigenen Lagerabschnitten. Auch die bis Oktober 1941 gültige Anordnung, die Sicherheitspolizei nicht in die Lager im Operationsgebiet zu lassen, wurde von vielen Offizieren ignoriert.
Die Erschießung jüdischer Kriegsgefangener nahm in den ersten Feldzugstagen ihren Anfang und dauerte bis Kriegsende an. Mangels dokumentarischer Unterlagen lässt sich die Zahl der Opfer nur auf statistischer Grundlage rekonstruieren. Mindestens 70.000 jüdische Männer sond wohl gefangen genommen worden. Da mehr als 5.000 nach dem Krieg repatriiert wurden und viele auch in rumänische Gefangenschaft gerieten, kann man annehmen, dass 50.000 oder mehr Rotarmisten allein wegen ihrer jüdischen Herkunft erschossen worden sind.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden sehr schnell Zehntausene Polizeikräfte „entnazifiziert“ und vor allem in den Westzonen wieder eingesetzt. Sie hatten entweder „von nichts gewusst“, „an den Morden nicht teilgenommen“ oder waren überhaupt nicht dabei..! Über Jahrzehnte hinweg lebten sie unbehelligt unter uns und wurden nie zur Verantwortung gezogen.
Von Rolf von Ameln
Redaktion Israel-Nachrichten.org
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