Im Jahre 1933 glaubten die national-konservativen Kräfte, Hitler und seine NSDAP durch eine Beteiligung an der Regierung zähmen und für ihre eigenen Interessen einsetzen zu können. Sie alle sollten sich gewaltig irren, denn Hitler zielte auf weit mehr als auf den Posten des Reichskanzlers. Innerhalb kürzester Zeit setzte dem Einfluss der Konservativen ein Ende.
Joseph Goebbels jubelte am späten Abend dieses denkwürdigen Datums in die Mikrofone der Rundfunfanstalten des Deutschen Reiches; – er war ja Propagandachef der NSDAP, deren Führer, Adolf Hitler, an diesem Vormittag zum Reichskanzler ernannt worden war. Nicht nur Goebbels jubelte – er genoss am Fenster der Reichskanzlei in der Berliner Wilhelmstraße den Fackelzug anlässlich der Machtübergabe, mit dem die SA, die paramilitärische Formation der Hitlerpartei, zusammen mit dem „Stahlhelm“, dem mitgliederstarken „Bund der Frontsoldaten“, zwischen Brandenburger Tor und Wilhelmstraße dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, in erster Linie aber ihrem Chef, dem neuen Kanzler Hitler, huldigte. Die Inszenierung war der Ursprung der Legende von der nationalen Revolution, von der „Machtergreifung“ Hitlers. Goebbels hatte diese Phrase unermüdlich verbreitet und damit davon abgelenkt, dass Hitler an die Spitze einer Koalitionsregierung berufen worden war, in der seine NSDAP nur eine Minderheit bildete, vertreten durch Wilhelm Frick, den neuen Innenminister, und Hermann Göring als Minister ohne Geschäftsbereich.
Dem neuen Kanzler und seinen beiden Nationalsozialisten im Reichskabinett standen erfahrene und selbstbewusste Konservative gegenüber: der deutsch-nationale Superminister und Medienzar Alfred Hugenberg und als Vizekanzler und Reichskommissar für das Land Preußen der parteilose – ehemals der katholischen Zentrumspartei angehörende – Franz von Papen, der als Königsmacher dieser Regierung fungiert und vier Fachleute aus seinem früheren „Kabinett der Barone“ in die neue „Regierung der nationalen Konzentration“ eingebracht hatte. Papen, der in grandioser Fehleinschätzung der politischen Dynamik, den senilen 86-jährigen Reichspräsidenten überredet hatte, Hitler zu berufen, war sehr zufrieden mit diesem Triumph seiner Staatskunst. Die Schlüssel der eigentlichen Macht schienen sicher in den Händen der Repräsentanten konservativer Werte, der Deutschnationalen Volksparte (DNVP), der Reichswehr und des „Stahlhelm“, zu liegen, während die Hitlerpartei nur fürs Grobe benutzt werden sollte.
Viele Beobachter, auch im Ausland, glaubten wie Papen an das „Konzept der Zähmung“, manche hofften, Hitler, der an der Spitze seiner „Bewegung“ stets die ganze Macht gefordert und an seinem Willen, dann Staat und Gesellschaft von Grund auf zu verändern, keinen Zweifel gelassen hatte, werde sich im hohen Amt vom Demagogen zum Staatsmann entwickeln. Andere wiederum vertrauten einfach darauf, dass „der Spuk“ nicht lange dauern könne. Über den radikalen nationalsozialistischen Parolen der NSDAP vergaßen die einen die Sprengkraft der „Bewegung“, die zum Bürgerkrieg entschlossen war und dies seit Jahren in Saalschlachten und Straßenkämpfen demonstrierte, andere meinten, es werde schon nicht schlimm werden. Dabei hatte Hitler schon in den ersten 24 Stunden seiner Amtszeit einen Teil des Handlungsrahmens zerstört, als er die Auflösung des Reichstags und Neuwahlen bei seinen Koalitionspartnern durchsetzte.
Wahlkampf bedeutete damals Auseinandersetzung bis hin zum Bürgerkrieg und die NSDAP, nunmehr Regierungspartei, war bereit, alle Möglichkeiten – auch Terror und Gewalt – zu nutzen, um die Machtposition auszubauen, die sie gerade erhalten hatte. Das hieß Kampf gegen alle Parteien, gegen das demokratische System, gegen die kommunistische Linke und auch gegen die deutschnationale Konkurrenz, deren parlamentarische Basis – 52 von 584 Mandaten oder 8,3 Prozent der Stimmen – schwach war. Hitler setzte sich durch. Reichspräsident Hindenburg löste am 1. Februar des Jahres 1933 das Parlament auf. Neuwahlen wurden für den 5. März angesetzt. Diese fünf Wochen wurden genutzt. Gestützt auf den Artikel 48 der Weimarer Verfassung, der dem Reichspräsidenten die Vollmacht zu Notverordnungen gab, wurden andere Parteien behindert, wurde die Pressefreiheit eingeschränkt und wurden Beamte entlassen. Das nannte sich „Säuberung der staatlichen Verwaltung“ (Opfer waren vor allem Sozialdemokraten und andere Anhänger des parlamentarischen Systems) und „Sicherung nationaler Belange“.Tatsächlich war es der Auftakt zur Errichtung eines tyrannisch-diktatorishen Regimes und zur Demontage des Rechtsstaates.
Der Begriff „Machtergreifung“ sollte die Machtübertragung an das Bündnis von NSDAP und Konservativen am 30. Januar 1933 als revolutionären Akt darstellen und die Rolle der Partner marginalisieren. Für die Entstehung der Regierung Hitler trifft der Ausdruck „Machtergrifung“ nicht zu; für den Prozess der Durchsetzung und Konsolidierung der Macht unter Verdrängung der Konservativen bis Mitte 1934 hat er eine gewisse Berechtigung. Bemerkenswert ist sowohl die Geschwindigkeit, mit der die Machteroberung erfolgte, als auch das Fehlen jedweden bürgerlichen Widerstandes bei der Ausschaltung des Parlaments und andere Verfassungsorgane, der Auflösung von Gewerkschaften und Parteien, der Gleichschaltung der Länder mit der Reichsregierung und der Organisationen mit der NSDAP sowie die Etablierung eines Macht- und Terrorapparates, wie SS, SD, Gestapo, Errichtung von Konzentrationslagern, außerhalb der Norm.
Der Prozess war abgeschlossen mit der verfassungsrechtlich illegalen Vereinigung der Ämter des Reichskanzlers und Reichspräsidenten nach dem Tod Hindenburgs im August des Jahres 1934, wonach Hitler als „Führer und Reichskanzler“ firmierte. Bezeichnend war jedoch auch, dass die Reichswehr als potentiell stärkstes und einziges Gegengewicht dem Diktator f r e i w i l l i g mit einer neuen Eidesformel Gehorsam gelobte.
Und so nahmen das Unheil und die unglaublichen Verbrechen der Nazis ihren Anfang!
Von Rolf von Ameln
Redaktion Israel-Nachrichten.org
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