Mitzpeh Ramon ist ein kleiner Ort, mitten in der Wüste Negev, weit unten im Süden Israels. Eine halbe Stunde Fahrtzeit entfernt vom Kibbuz Sde Boker, wo David Ben Gurion die Vision von einer Wüste hatte, die einst begrünt und Lebensraum für Viele sein würde. Sein Lebenstraum hat sich erfüllt. Heute verfügt Israel über entsprechende Möglichkeiten, um das lebensnotwendige Wasser durch ein ausgeklügeltes System überall hin zu bringen und so den Bau von Siedlungen zu ermöglichen.
Die Wüste beginnt bei Beer Sheva und umfasst das Dreieck von der ägyptischen Grenze im Westen bis zum Toten Meer entlang der Grenze zu Jordanien im Osten, bis nach Eilat am Roten Meer im Süden. Überlässt man die Wüste sich selbst, ist sie karg und abweisend. Sie ist seit urlanger Zeit der natürliche Lebensraum für ca. 250.000 Beduinen. Sie könnten von den technologischen Errungenschaften profitieren, ziehen aber meistens ihr traditionelles Leben als Halbnomaden vor.
Mitten in diesem kargen Wüstengebiet gründete Moshik Wolf, nachdem er als Major seinen aktiven Dienst bei der IDF beendet hatte, die Mechina „Asher Ruach Bo“ (ein Mann in dem Geist ist) Als Mechina bezeichnet man ein vormilitärisches Ausbildungscamp, in dem, wie in diesem Fall, junge Männer mit problematischem oder kleinkriminellen Vorleben eine Chance erhalten, ihr Leben neu zu gestalten.
Vor fast vier Monaten, Ende August, sind sie in Mitzpeh Ramon angekommen. 23 junge Männer, deren Lebensweg bisher alles andere als einfach gewesen war. 23 jungen Menschen, die hier auf einen Neustart hofften.
Sie haben ein gemeinsames Ziel: nach einer Vorbereitungszeit von acht Monaten wollen sie in die IDF aufgenommen werden. Und zwar nicht einfach in irgendeine Einheit, nein, es soll, es muss eine Eliteeinheit bei der kämpfenden Truppe sein.
Die ersten zwei Monate sind die härtesten. Es beginnt ein Alltag, der sich von allem unterscheidet, was bis dahin ihr Leben ausgemacht hatte ….
„Wir bieten den Kindern hier zunächst einmal ein geregeltes Leben, nicht im Luxus, aber mit allem, was sie brauchen, um langsam den Weg in die Gesellschaft zu finden, die ihnen bisher fremd war.“ erzählt Moshik, während er den Rundgang in der Mechina beginnt.
Das Haus wirkt ein wenig heruntergekommen, die beiden Büros im Erdgeschoss zeigen, dass die, die hier arbeiten, keinen Platz für Überflüssiges haben. Jeder Winkel ist zugestellt mit Rucksäcken, Schlafsäcken, Fleecejacken und überquellenden Kartonen.
Im Büro von Moshik beherrschen zwei riesige Steckwände den Raum. Auf dem einen sind die Eckdaten aller Teilnehmer festgehalten, auch die Namen der Bezugspersonen, die informiert werden müssen, falls es zu Problemen kommt.
Auf der anderen kann man, sofern man das System durchschaut, den Plan für die kommenden Monate erkennen. Jeder Tag ist verplant, es gibt Tage, an denen wechseln die Farben der Steckkarten nahezu im Stundentakt. Das sind die Tage, an denen die Gruppe fast normalen Unterricht erhält.
Oft ist es kein Frontalunterricht, wie er aus regulären Schulen bekannt und verpönt ist. Meist geht es darum, den jungen Männern das beizubringen, was sie während ihrer Exkursionen durch die Wüste „blind“ beherrschen müssen, wenn sie nicht in existenzielle Probleme geraten wollen.
Manch einer kämpft noch mit ganz anderen Problemen.
Shimon, ein junger Äthiopier, leidet unter seiner Hyperaktivität. Er muss erst einmal lernen, wie er mithilfe eines Fahrplans seinen Weg von A nach B findet. Natürlich geht das am schnellsten mit der Suche im Internet. Aber auch das ist ihm noch völlig fremd. Also sitzt er bei Daniela, dem guten Geist des Camps im Büro und versucht, sich in die virtuelle Welt der Informationen einzuarbeiten.
„Meine Aufgabe war es, herauszufinden, wann ich morgens hier losfahren muss, wenn ich um 13:00 einen Termin in Tel Aviv habe. Wow, das war schwer. Ich muss unterwegs ein paarmal den Bus wechseln. Aber, weisst du was, ich habe zwar ewig lange dafür gebraucht, aber ich habe es geschafft. Ein kleiner Erfolg, aber jetzt weiss ich, dass ich meinem Ziel wieder ein winziges Stück näher gekommen bin.“
Anschliessend steht auf dem Programm zu lernen, wie man Knoten macht. Ein ehrenamtlicher Mitarbeiter, der seinen Dienst bei der Marine absolviert hat, bemüht sich, den teils ungeduldigen Burschen zu erklären, welcher Knoten, für welchen Zweck geeignet ist. Wenn es später bei einem Orientierungsmarsch darum geht, ein Wasserloch zu finden, sich abzuseilen und eine Flasche zu füllen, muss der Knoten halten. Er muss sicher sein, darf sich nicht zuziehen, sich aber auch nicht öffnen. Die Wasserlöcher können bis zu zehn Meter tief sein. Ein überraschender Absturz kann zu schweren Verletzungen führen.
In den ersten Tagen geht es hauptsächlich darum, den jungen Menschen, die bisher überwiegend Einzelgänger, ja teilweise auch Einzelkämpfer waren, bewusst zu machen, dass sie in der Gruppen miteinander und nicht gegeneinander arbeiten müssen, wenn sie stark sein sollen.
Sie müssen lernen, dass sie sich als Team, als Gruppe 100% aufeinander verlassen können müssen. Hier in der Mechina bildet die gesamte Ausbildungsgruppe das Team, das sich in der Regel nach dem Ende des Vorbereitungskurses trennt.
Später, nach der ersten Grundausbildung werden beim Militär ebenfalls Gruppen gebildet, die über Jahre hinaus zusammen arbeiten.
Elifal hat die Mechina vor zwei Jahren beendet, er war Teilnehmer der ersten Gruppe.
Heute ist er nach Mitzpeh Ramon gekommen, um seine alten Freunde und Ausbildner wieder zu treffen. Die dritte Gruppe feiert heute, gemeinsam mit den Familien und Freunden das Eröffnungsfest. Eine gute Gelegenheit, alte Kameraden von seiner eigenen Zeit hier zu treffen.
Vielleicht auch eine Gelegenheit, vom letzten Sommer zu erzählen. Elifals’ Traum ist wahr geworden.
Dass dieser Traum Wahrheit werden würden, hat ihm niemand an seiner Wiege vorhergesagt.
Elifal lebt mit „seiner Familie“ in Dimona, einer Stadt mitten in der Negev Wüste auf dem Weg zwischen Beer Sheva und dem Toten Meer. Leider ist in Dimona die Kriminalitätsquote sehr hoch.
Elifals Clan ist Mitglied der Gruppe „The African Hebrew Israelites ofJerusalem“.
Diese Gruppe umfasst heute ca. 5000 Mitglieder, die mehrheitlich in Dimona leben. Sie selbst verstehen sich als Nachkommen der 10 verlorenen Stämme Israels und berufen sich sowohl auf die Torah, als auch auf das Neue Testament. Ein Teil der Gruppe betrachtet sich als jüdisch, was halachisch betrachtet falsch ist. Elifal ist mittlerweile auch formell zum Judentum übergetreten.
Sein Clan umfasst aktuell 24 Personen: 3 alleinerziehende Mütter, die von mehreren Vätern 21 Kindern (Geschwister und Halbgeschwister) das Leben geschenkt haben.
Derzeit ist Elifal für einige Wochen vom Militärdienst beurlaubt. Seine Mutter kann aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten und so muss Elifal für kurze Zeit einspringen, um Geld zu verdienen. Leider leben viele Familien in Israel unterhalb der Armutsgrenze. Auch seine Familie gehört dazu. Wie soll ein Soldat verantwortungsbewusst seinen Dienst ausüben, wenn er weiss, dass seine Familie hungert? Die Verantwortlichen der IDF kennen das Problem und versuchen, ihm mit unbürokratischen Beurlaubungen ein wenig lindernd entgegenzutreten.
Nach langen Diskussionen und Unklarheiten über ihren Status in Israel erhielt 2009 Elyakim Ben-Israel als erster von ihnen die volle israelische Staatsbürgerschaft. Mittlerweile geht Israel entspannter mit seinen Neubürgern aus dieser Gruppe um.
Seit die jungen Männer regelmässig ihren Wehrdienst bei der IDF absolvieren, die Quote der Polygamie auf 32% gesunken ist (Tendenz weiter sinkend) und die Bemühungen, sich in den Staat Israel zu integrieren, nicht mehr zu übersehen sind, hat es der Staat übernommen, jedem Mitglied nicht nur das volle Bürgerrecht zu gewähren, sondern auch die Bonusleistungen des Staates auf sie auszudehnen. Jeder der Black Hebrews hat Anspruch auf die Leistungen der staatlichen Versicherung, wenn er arbeitslos ist.
Dem Problem der im Judentum abgelehnten Polygamie versucht man zu begegnen, indem man für diese Bürgergruppe die Zahl der Ehefrauen auf vier beschränkt.
Eine weitere Besonderheit der Gruppe stellt ihre Ernährung dar: sie ist ausschliesslich vegan. Nachdem es unmöglich ist, innerhalb der Mechina neben dem regulären Essen, zusätzlich vegetarisches und darüber hinaus auch veganes Essen anzubieten, haben sich die Teilnehmer entsprechend arrangiert.
Elifal hat bereits während seiner Schulzeit Kontakt mit Moshik, der dort Vorträge über die neu gegründete Mechina hielt. Elifal wollte seinen Militärdienst bei der Marine absolvieren, verbaute sich den Weg dorthin aber selber, indem er auf dem Dach seines Wohnhauses eine kleine Cannabisplantage anlegte. Als diese entdeckt wurde, erhielt er eine Anzeige wegen Drogenanbau.
Moshik erkannte die Fähigkeiten und den Willen, der in Elifal steckte, und suchte gemeinsam mit ihm den Weg, das Gericht davon zu überzeugen, dass er sich seiner Straftat zwar völlig bewusst war, aber keine Gefahr einer Wiederholung vorlag. Die grundlegende Voraussetzung, um in die Mechina aufgenommen zu werden war, und ist es auch heute noch, dass gegen den Bewerber kein offener Gerichtsfall anhängig ist. Die IDF verweigert jedem, der rechtmässig verurteilt wurde, den Zugang, das Absolvieren der Mechina wäre daher ein sinnloses und noch dazu teures Unterfangen.
Die Kosten für den acht Monate dauernden vormilitärischen Kurs belaufen sich auf NIS 50.000 (ca. € 10.000) je Teilnehmer, die Vergleichskosten für einen entsprechenden Gefängnisaufenthalt sind dreimal höher. Berücksichtigt man dann noch die beruflichen und gesellschaftlichen Schwierigkeiten, mit denen ein Ex-Strafgefangener konfrontiert wird, so versteht man, dass jeder Richter jeden Fall sehr genau anschaut, bevor er seine Entscheidung fällt.
Bei Elifal fiel die Untersuchung positiv aus, seine Akte wurde geschlossen. Unmittelbar nachdem er die Matura abgeschlossen hatte, trat er in die Mechina ein.
Innerhalb kurzer Zeit verändert er sich zum Positiven. Statt seine Energie in kriminellen Aktivitäten zu vergeuden, baute er seine positiven Charaktereigenschaften aus. Es zeigte sich, dass er neben intellektuellen Fähigkeiten auch die Anlage zu einer charismatischen Führungspersönlichkeit hatte. Die Zeit in der Mechina erlebte er rückwirkend als sehr leicht und hilfreich.
Für den Dienst in der IDF bewarb er sich bei den Golanis, und wurde, so wie es sein ganz grosser Wunsch war, in diese Eliteeinheit aufgenommen.
Während der Operation „Fels in der Brandung“war er mit seiner Gruppe in Gaza. Sonntag, 20.Juli 2014, es war ihr erster Tag bei der Bodenoffensive. Zwei Gruppen der Golani Einheit fuhren hintereinander in Richtung Shejaia, einer Hochburg der Hamas Terroristen.
Elifal sass mit seiner Gruppe im zweiten Panzerfahrzeug, als das erste auf eine Mine auffuhr und gesprengt wurde. Unsicher, was geschehen sei, verliessen sie sofort ihr Fahrzeug, um zu schauen, ob noch Hilfe möglich sei. Was sie sahen, war grauenhaft. Aber, so Elifal: „Es blieb uns keine Zeit, nachzudenken. Vor uns, neben uns, überall öffnete sich auf einmal der Boden und Hamasterroristen stiegen quasi aus dem Boden heraus. Da standen sie auf einmal, es war grauenhaft. Wir konnten uns gerade noch in unser Fahrzeug retten, nachdem wir alle Terroristen neutralisiert hatten. Unseren Freunden konnten wir nicht mehr helfen.“
Therapeutische Hilfe nehmen sie nicht in Anspruch, wann immer es möglich ist, treffen sie sich und sprechen miteinander. Einmal mehr hat sich bewiesen, dass der starke Zusammenhalt der einzelnen Kleingruppen bei der IDF nicht nur ein wesentlicher Teil der theoretischen Philosophie ist, sondern auch von hohem praktischen Nutzen. Auch für unsere Gesellschaft.
Von Esther Scheiner
Redaktion Israel-Nachrichten.org
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