Der Kampf ums Überleben und die Ratschläge für Palästina
Das „Jüdische Nachrichtenblatt“ schreibt in seiner Ausgabe vom 16. Dezember 1938 über die „Planmäßige Ansiedlung des jüdischen Mittelstandes“:
Der Sinn der jüdischen Palästina-Wanderung ist es nicht nur, die Menschen in ein neues Land, in ihr Land zu bringen, sondern auch, ihnen ein neues Leben der Arbeit zu erschließen. Diese Zielsetzung ist nicht nur ein nationales Ideal, sondern eine wirtschaftliche Notwendigkeit gerade für diejenige Schicht, die in der Einwanderung der letzten Jahre eine besonders große Rolle spielt, für den Mittelstand. Die Aufgabe war und bleibt, für tausende jüdische Kaufleute und Akademiker neue Existenzmöglichkeiten zu schaffen. Bereits vor fünf Jahren haben die nationalen Instanzen insbesondere jene, die für die Einwanderung aus Deutschland verantwortlich waren, erkannt, daß es gilt, für dieses Arbeitsgebiet ein unter nationaler Kontrolle stehendes Instrument zu schaffen, das die Ansiedlung mittelständischer Elemente auf dem Land, sei es in der Form der Vollsiedlung oder der Hilfswirtschaft, sei auf Privatboden oder auf Nationalfonds-Boden, übernimmt und laufend und systematisch durchführt. So entstand die „Rassco“ (Rural and Suburban Settlement Comp. Ltd.). Die landwirtschaftlichen Mittelstandssiedlungen in Palästina.
Von den drei landwirtschaftlichen Mittelstandssiedlungen, welche die Gesellschaft in den knapp drei Jahren ihrer praktischen Arbeit aufgebaut hat, ist Kfar Schmarjahu bei Herzlia die älteste und fortgeschrittenste. Erst während der Unruhen wurde das Werk begonnen und durchgeführt. Aber das junge Dorf ist doch schon weit genug entwickelt, um als Probe auf das Exempel der neuen Siedlungsmethode gelten zu können. Schon ist auch die zweite Siedlung Sdeh Warburg bei Gan Chajim auf Nationalfondsboden über das erste Stadium des Aufbaus hinaus, und viele der Feststellungen, die sich nachfolgend auf Kfar Schmarjahu beziehen, treffen auch auf diese zweite Siedlung zu. Anders liegt es bei der jüngsten Schöpfung der „Rassco“, Shave Zion zwischen Akko und Naharia, in der der Versuch unternommen worden ist, eine Gruppe in der Landwirtschaft erfahrener, durch Familien- und Freundschaftsbeziehungen verbundener Einwanderer aus Deutschland in genossenschaftlicher Form anzusiedeln. Wo vor zwei Jahren noch Brachland war, steht heute das blühende Dorf Kfar Schmarjahu mit mehr als zweihundert Einwohnern – überwiegend Einwohner aus Deutschland – und mehr als sechzig geräumigen Steinhäusern mit rotem Ziegeldach.
Zwar sind die Obstbäumchen noch klein, aber die Gemüsefelder haben schon sechs und teilweise noch mehr Ernten geliefert. Milch und Eier aus Kfar Schmarjahu sind schon in beträchtlichen Quantitäten auf dem Markt und die ersten Bananenpflanzungen beginnen Früchte zu tragen. Kfar Schmarjahu hat auch sogenannte Hilfswirtschaften von wenigen Dunam auf denen in begrenzter Zahl Handwerker und Fachleute bestimmter Berufe angesiedelt wurden. Sein Gepräge aber erhält der Ort durch die etwa vierzig Vollwirtschaften von je zehn bis zwölf Dunam mit Geflügel und Kuhstall. Auf dieser immerhin noch begrenzten Bodenfläche, enthält jede einzelne Wirtschaft ein erstaunlich vielseitiges Produnktionsprogramm, um den Siedler möglichst widerstandsfähig gegen Konjunkturschwankungen oder Mißernten auf einzelnen Marktgebieten zu machen. So wie jeder Siedler einige Dunam leichten und einige Dunam schweren Boden erhielt, ist auch eine gewisse Mischung zwischen leichter und schwerer Arbeit angestrebt worden. So kann im Normalfall eine drei- bis vierköpfige Familie den höchstmöglichen Nutzeffekt aus ihrer Wirtschaft herausholen, ohne fremde Arbeitskräfte in Anspruch nehmen zu müssen. Nur in einem Punkt sind die Siedler noch stark auf fremde Mitwirkung angewiesen, in der Instuktion.
Für alle Gebiete stehen den Siedlern alterfahrene Instruktoren jederzeit zur Verfügung, die ihnen die nötigen Anleitungen geben, nicht nur über die technische, sondern auch über die wirtschaftliche Seite der Arbeit. So wurde zum Beispiel darauf geachtet, daß im Gemüsebau die einzelnen Produkte möglichst – soweit Boden und Klima es gestatten – zu der Zeit auf den Markt gebracht werden, in der gerade in diesem Produkt kein Überangebot besteht. Das für die palästinensische Landwirtschaftso wichtige Problem des Saisonausgleichs wurde damit praktisch in Angriff genommen. Ein sehr wesentlicher Anpassungs- und Erziehungsfaktor war auch, daß viele Siedler mit eigenen Händen am Aufbau ihrer Gebäude oder an der Vorbereitung ihres Feldes mitgearbeitet haben, manche sogar, um sich während des Aufbaues ihren Lebensunterhalt als Lohnarbeiter der „Rassco“ bei den ersten allgemeinen Erschließungsarbeiten zu verdienen. Am bedeutsamsten für die Einordnung und Umschichtung dieses meist nicht mehr jungen Menschenmaterials ist, daß die „Rassco“ dem Sielder das schwerste Risiko der Unerfahrenheit nicht nur abnimmt, sondern ihm sogar verbietet, dieses Risiko auf eigene Kappe zu nehmen, selbst wenn er dies gern möchte.
Mit dem „Rassco“-Siedler wird vielmehr von vornherein ein dem Siedlungsprogramm der „Rassco“ entsprechender Siedlungs- und Bauplan mit dem dazugehörigen Budget vereinbart wobei die „Rassco“ sich heute schon auf eigenes Erfahrungsmaterial stützen kann. Nicht nur der Anlageplan für den ganzen Ort, sondern der Bauplan für das einzelne Haus und der Bestellungsplan für das einzelne Feld werden von vornherein festgelegt. Um die einhaltung dieses Aufbauplanes zu sichern und um gleichzeitig durch gemeinsame Vergebung der Arbeiten die Investitionskosten möglichst niedrig zu halten, verlangt die „Rassco“, daß der Siedler ihr den genannten Betrag, der nach dem voranschlag zu investieren ist, zu treuen Händen übergibt und nur im Einverständnis mit ihr verwendet, wobei die „Rassco“ von Fall zu Fall den Aufbau für den Siedler treuhänderisch übernimmt. Diese Sicherstellung erstreckt sich nicht nur auf die eigentlichen Investitionen, die Baulichkeiten mit lebendem und totem Inventar, sondern auch auf ein gewisses Reservekapital für unvorhergesehene Ausgaben sowie die Unterhalts- und Betriebskosten der Anlaufzeit. Ist der Betrieb erst eingespielt und haben „Rassco“ und Siedler ihre gegenseitigen Verpflichtungen erfüllt, so bestehen, rechtlich gesehen, keine Bindungen mehr, der Siedler ist freier Bauer auf freier Scholle.
Und weiter titelt das „Jüdische Nachrichtenblatt Wien“:
470 Kinder nach England und Holland. Am Samstag, den 10. Dezember, wurde vom Bahnhof Wien-Hütteldorf in einem Sonderzug ein Kindertransport abgefertigt, der vom Jugendfürsorgeamt der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und der Beratungsstelle für Jugendalijah in die Wege geleitet wurde. 401 Kinder waren nach England, 69 Kinder nach Holland bestimmt. Wie uns mitgeteilt wird, ist der Kindertransport in Holland gut angekommen. Er wurde überaus freundlich empfangen. Der für England bestimmte Teil des Transportes traf dort am Montag wohlbehalten ein.
Wie die Lage wirklich in Wien war, beschreibt folgender Aufruf:
„An alle Gemeindemitglieder!
Bekennt Euch zur jüdischen Gemeinschaft, erfüllet Eure Pflicht und spendet für die Jüdische Winterhilfe der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Hungernden Speise, Frierenden Bekleidung und Wärme, Obdachlosen, wenn auch vorübergehend, Aufenthalt im beleuchteten und beheizten Raum zu bieten, das ist die Aufgabe, die sich die Jüdische Winterhilfe gestellt hat.
Jede Spende lindert Leid und bringt einen Lichtstrahl in dunkle Stuben des Elends.“
Sechs Millionen jüdischer Mitbürger jedoch konnten den Weg nach Erez Israel nie antreten; – wir wissen: WARUM!
Von Rolf von Ameln
Redaktion Israel-Nachrichten.org
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