Am 11. Juli 1940 tönte Hermann Göring großspurig: „Die Verteidigung Südenglands wird innerhalb von vier Tagen zusammengebrochen sein, die Royal Air Force innerhalb von vier Wochen. Wir können dem Führer die Garantie geben, dass eine Invasion Englands in einem Monat erfolgen kann.“
Mitte Juli herrschte große Euphorie in Nazideutschland. Der unerwartet rasche Sieg über Frankreich hatte einen kollektiven Freudentaumel ausgelöst. Die Bevölkerung, die Militärs und die politische Führung glaubten, dass der Krieg im Prinzip schon gewonnen wäre. Nachdem die britische Regierung aber keine Anstalten machte, den Kampf aufzugeben, würde man diese zum Frieden zwingen müssen. Der Plan des Regimes zur Eroberung Englands sah wie folgt aus: Görings Luftwaffe sollte die Luftherrschaft über Südengland erringen und die Insel sturmreif bomben. Sollten die Briten dann immer noch weiterkämpfen, würde eine Invasion – das „Unternehmen Seelöwe“ – erfolgen.
Die Generäle der Luftwaffe waren optimistisch, die Royal Air Force in wenigen Wochen niederkämpfen zu können. Dieser Optimismus entsprang freilich mehr der allgmeinen Siegeseuphorie als einer nüchternen Analyse der Lage. Denn trotz aller Erfolge im Feldzug gegen Frankreich hatte die deutsche Luftwaffe auch heftige Rückschläge hinnehmen müssen. 460 Jagdflugzeuge und über 780 Bomber waren abgeschossen worden. Darüber hinaus hatte man über Dünkirchen im Kampf gegen die modernen britischen Jäger die Luftüberlegenheit verloren. Noch mehr zum Nachdenken hätte die Tatsache führen müssen, dass es im zweiten Teil des Frankreichfeldzuges nicht gelungen war, die Bodenorganisation der französischen Luftwaffe zu zerstören.
Vielmehr war es ein organisiertes Chaos, das die Armee de I´Air daran hinderte, wirkungsvoll in die Kämpfe am Boden einzugreifen. Im Juli 1940 bereiteten sich beide Seiten auf die bevorstehende Auseinandersetzung vor und glichen die Verluste in den eigenen Reihen aus. Die Royal Air Force konnte rund 600 einsatzbereite Jagdflugzeuge aufbieten, die Luftwaffe verfügte über 1000 Bomber und knapp 800 Jäger. Die Luftoffensive begann am 13. August des Jahres 1940, großmäulig „Adlertag“ genannt. Bomber und Jäger griffen bei Tag die Flughäfen der englischen Jägerstaffeln an, um diese möglichst noch am Boden zu vernichten. Schnelle Erfolge waren jedoch nicht zu verzeichnen.
Die Verluste auf beiden Seiten waren hoch und die Kämpfe nahmen rasch den Charakter einer Materialschlacht an. Bereits in den ersten Tagen in der Luftschlacht um England bewährte sich das moderne britische Verteidigungssystem. Eine Kette von Radarstationen ermöglichte eine lückenlose Luftüberwachung bis hinüber nach Nordfrankreich. So konnten die deutschen Bomberverbände bereits im Anflug erfasst und die eigenen Jäger effizient gesteuert werden. Die britische Luftwaffe erlitt zwar erhebliche Verluste, konnte von der Nazi-Luftwaffe jedoch nicht entscheidend geschwächt werden, zumal deren Ausfälle erheblich höher waren.
Die englischen wichen den deutschen Jägern aus, sodass Görings Luftwaffe sie nie recht zu fassen bekam. Zwischen dem 1. Juli und dem 31. Oktober 1940 verlor die deutsche Luftwaffe 1.200 Flugzeuge, die Royal Aie Force 760. Göring befahl daher am 7. September, nicht mehr die südenglischen Flughäfen anzugreifen, sondern alle Kräfte auf London zu konzentrieren. Ein Angriff auf die britische Hauptstadt, so das Kalkül, würde die englischen Jäger dazu zwingen, sich dem Luftkampf zu stellen. Dann könnte man auch sie vernichten, so die Hoffnung der Nazis. Die Luftoffensive gegen London verlief jedoch anders als geplant. Die deutschen Verluste stiegen binnen weniger Tage derart an, dass sie untragbar wurden.
Mitte September mussten die Angriffe bei Tag eingestellt und in die Nacht verlegt werden. Die Luftschlacht um England war verloren. Den Angreifern war es nicht gelungen, die britische Luftabwehr niederzuringen, sodass Hitler die „Operation Seelöwe“ am 17. September 1940 auf das kommende Frühjahr verschob. Die Wehrmacht hatte ihre erste und für den weiteren Verlauf des Krieges besonders folgenschwere Niederlage erlitten. Was aber waren die Gründe für das Scheitern? Die deutsche Luftwaffe war dafür ausgebildet und ausgerüstet, den Vormarsch des Heeres zu unterstützen. Eine strategische Luftoffensive war nur als letzte Möglichkeit in einem Krieg vorgesehen. Hierzu fehlten freilich alle technischen Voraussetzungen.
Nazideutschland verfügte weder über Langstreckenjäger, noch über viermotorige Fernbomber. Die eigenen Jäger waren noch nicht einmal mit abwerfbaren Zusatztanks ausgestattet. Hinzu kam, dass es in der Luftwaffen-Führung kaum herausragende Führungspersönlichkeiten gab, die einer derart anspruchsvollen militärischen Aufgabe gewachsen waren. Der hochgelobte Generalstabschef der Luftwaffe, Walter Wever, war schon 1936 verunglückt. Kritische Köpfe duldete Göring in den höchsten Stäben nicht. Die Führungsriege des Jahres 1940 war von ihrem Sieg in Frankreich so geblendet, dass sie es versäumte, sich auf einen harten Kampf gegen einen zu allem entschlossenen Gegner vorzubereiten.
Die Mängel in der Planung und der Vorbereitung waren unübersehbar. So erkannte der für das Feindnachrichtenwesen zuständige Offizier nicht, wie wichtig die englischen Radraranlagen an der Südküste waren – entsprechend halbherzig wurden sie angegriffen. Man unterschätzte zudem die Leistungsfähigkeit der britischen Luftrüstungsindustrie. Sie produzierte im Durchschnitt 470 neue Jäger im Monat, mehr als doppelt so viele wie die deutschen Flugzeugwerke. Deshalb verfügte die Royal Air Force trotz der schweren Verluste immer über genügend Nachschub, während man sich auf deutscher Seite zu wundern begann, warum die gegnerische Luftverteidigung nicht schwächer wurde.
Die Luftschlacht um England offenbarte, dass die deutsche Luftwaffe schnell am ende war, sobald sie aus der rein taktischen Rolle der Heeresunterstützung heraustreten und operative oder gar strategische Aufgaben übernehmen sollte. So musste sie im August und September 1940 scheitern. Der Zielwechsel auf London spielte dabei keine entscheidende Rolle. Der Luftwaffe Nazideutschlands fehlten schlicht die technischen Voraussetzungen, um die Luftherrschaft über Südengland zu erringen. Vor allem waren die Deutschen im Kampf Jäger gegen Jäger nur wenig überlegen. Technisch waren die Engländer mindestens ebenbürtig und aufgrund der geringen Reichweite des deutschen Standardjägers Messerschmitt 109 hätte man die Flugplätze des britischen Fighter Command immer nur in einem sehr begrenzten Gebiet, beispielsweise in Kent und Sussex, zerstören können.
Um mit einer aus Rheinkähnen hastig zusammengewürfelten Invasionsarmee ungehindert den Kanal überqueren zu können, hätte man die englische Luftwaffe vernichten müssen. Doch davon war man im Spätsommer 1940 weit entfernt. Eine deutsche Landung hätte unter diesen Umständnen wohl kaum gelingen können. England hatte zu diesem Zeitpunkt die größte Gefahr vor den Nazis überstanden. Der englischen Zivilbevölkerung stand jedoch das Schlimmste noch bevor. Nach dem Scheitern der Luftschlacht um England griff die deutsche Luftwaffe von Ende September bis Anfang November 1940 jast jede Nacht London an. Die Angriffe, die vor allem auf die Docklands im Osten der Stadt zielten, beeinflussten jedoch weder die Wirtschaft noch den Durchhaltewillen der Bevölkerung in nennenswerter Weise.
Ende Oktober erkannte die Nazi-Luftwaffenführung, dass die Angriffe ohne sichtbares Resultat blieben. Sie befahl deshalb eine Offensive gegen die britische Luftrüstungsindustrie, um so der englischen Luftwaffe das Rückgrat zu brechen. In diesem Zusammenhang wurde dann auch der bekannte Terrorangriff auf Coventry geflogen. Die Opfer unter der Bevölkerung waren erheblich. Allein von Juli bis Dezember 1940 sind 23.000 englische Zivilisten den deutschen Luftangriffen zum Opfer gefallen. Hitler konzentrierte sich nach dem Scheitern der Luftschlacht um England ganz auf die Vorbereitung des Angriffs auf die Sowjetunion. Der Kampf gegen die Insel hatte für ihn nach der Absage des Unternehmens „Seelöwe“ nur noch das Ziel, England zu schwächen, aber nicht mehr, es zu besiegen.
Nach dem raschen Sieg über die Sowjetunion wollte der deutsche Diktator dann einen zweiten Anlauf unternehmen. Insgeheim hoffte er wohl immer noch, dass es zu dem finalen Showdown zwischen Deutschland und England nicht kommen und London nach dem deutschen Triumph im Osten endlich einem Arrangement zustimmen würde.
Hitler und seine Helfer hatten aus der Niederlage in der Luftschlacht um England nichts, aber auch gar nichts dazugelernt.
Von Rolf von Ameln
Redaktion Israel-Nachrichten.org
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