Als im September Geborene wurde ich erst zu Ostern 1961 eingeschult. Man nahm damals noch keine Rücksicht auf die Schulreife, einzig das Geburtsdatum war maßgeblich.
Und so stand ich irgendwann im April des Jahres 1961 auf dem asphaltierten Boden unserer Terrasse meinem Vater Modell für das klassische Einschulungsbild. Die obligatorische Schultüte fest an mich gedrückt, auf dem Rücken den Schulranzen. Und das Gesicht in misstrauische Falten gelegt.
Das Bild ist nicht mehr vorhanden, aber so ähnlich habe ich es in Erinnerung.
Wir waren 72 (!) in der Klasse, saßen an 5-eckigen Tischen unserer modernen Schule und waren der Klassenlehrerin, Fräulein Dibbelt, für das kommende Schuljahr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Vorne neben dem Pult hingen zwei Rollwände, auf der einen waren die „normalen“ Buchstaben abgebildet, die Schrift, die wir als erste erlernten, daneben die Sütterlin Schrift, die altdeutsche. Die ermöglichte es mir, nachdem ich sie irgendwann auch, wenn nicht schreiben, dann zumindest lesen konnte, die Briefe meiner Großmutter, geboren im Jahr 1891, zu lesen. Und ich konnte damit die Karl May Bücher meines Großvaters lesen.
Ob ich mir jemals so brave Schüler gewünscht hätte? Ich glaube es nicht. Es gab ein Bild, es muss aus der vierten Klasse der Grundschule gewesen sein, auf dem wir an unseren Tischen sitzen und brav die rechte Hand hochheben, als wüssten wir alle die Antwort auf eine vom Fotografen gestellte Frage.
Das erste Jahr verlief relativ ruhig, wir lernten mit Hilfe von Rechenstäbchen das kleine und das große 1 x 1, wir malten Schwäne, als wir die Zahl „Zwei“ lernten, wir ließen die Zeit der Schiefertafel, samt Griffel und Schwamm hinter uns, und begannen auf Papier zu schreiben. Die Vorweihnachtszeit begann und die Zeit des ersten „großen“ Diktates rückte näher. Diktiert wurden Worte wie Gehirnerschütterung, Pellkartoffel und Nikolaus.
Und genau beim Nikolaus brach mein Bleistift ab. Der Rest des Diktates geriet zum nicht mehr lesbaren Gekrakel.
Die Arbeit wurde als na ja, gerade noch ausreichend bewertet, aber immerhin hatte Fräulein Dibbelt soviel pädagogisches Verständnis, dass sie bei den Eltern, und die sich wieder bei mir schlau machten, was denn da wohl passiert sei.
Es gab eine doppelte pädagogische Ermahnung.
Die der Lehrerin und die der Eltern. Wie schön wäre es gewesen, wenn die Eltern kompromisslos hinter mir gestanden wären. Aber, das war eben noch nicht die Pädagogik des Jahres 1961. Ich hätte mir den Zugang gewünscht, den Reinhard Mey erleben durfte.
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von Esther Scheiner
Redaktion Israel-Nachrichten.org
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