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Die Deutschen im Nazireich: Das Ende des Rechtsstaats und die Nacht der langen Messer

Als Adolf Hitler am 2. Juli 1934 das Ende der Säuberungsaktion befahl, die als „Nacht der langen Messer“ in das Bewusstsein der „Volksgenossen“ einging, trennte nur noch der greise Reichspräsident Hindenburg Deutschland von der totalen Diktatur. Im ganzen Reich waren Hitlers „Säuberungswelle“ cirka 200 Menschen zum Oper gefallen, unter ihnen auch Unbeteiligte aufgrund von Verwechslungen.

 

Göring ließ die Spuren, so gut es ging, verwischen, Hitler nahm alle Verantwortung auf sich und das Kabinett beschloss ein Gesetz, wonach „die zur Niederschlagung hoch- und landesverräterischer Angriffe“ vollzogenen Maßnahmen „als Staatsnotwehr rechtens“ gewesen seien. Vom Reichspräsidenten, Paul von Hindenburg, war ein Telegramm gekommen, das tief empfundenen Dank ausdrückte: Hitler habe „das Deutsche Volk aus einer schweren Gefahr gerettet“. (Ob Hindenburg den Wortlaut des Telegramms kannte und begriff, darf bezweifelt werden. Anm.d.Verf.)

Reichswehrminister Blomberg, der bereits im Februar als Beweis seiner Ergebenheit die „Hoheitszeichen der NSDAP“ bei der Wehrmacht eingeführt hatte, erließ am 1. Juli 1934 einen Tagesbefehl, in dem er die „soldatische Entschlossenheit“ pries, mit der der Reichskanzler die „Verräter und Meuterer“ niedergeschmettert habe. Die Wehrmacht danke ihm dies „durch Hingebund und Treue“.

 

Erst zwei Wochen nach der Mordaktion, am 13. Juli 1934, trat Hitler an die Öffentlichkeit und rechtfertigte in einer zwei Stunden andauernden Rede vor dem Reichstag die Ereignisse mit seiner Rolle als angeblich über den Gesetzen stehender „oberster Gerichtsherr“ der Nation. Immerhin waren zahlreiche bewaffnete SS-Männe im Saal, als Hitler sich in gespannter Atmosphäre im Parlament offen zu den Morden bekannte. Der Vorgang war ungeheuerlich – nicht so sehr, weil das deutsche Volk in seiner Mehrheit die Ereignisse möglicherweise als rettende Kraftanstrengung des Regierungschefs gegenüber der SA als einer als zunehmend bedrohlich empfundenen Bande von Landsknechten sah, sondern weil Rechtsempfinden und politische Moral im nationalistischen Taumel über „Deutschlands Erinnerung“ so rasch verkümmert waren, dass der Rückfall in den Zustand der Tyrannei nicht beklagt, sondern freudig begrüßt wurde. Auch die Reichswehr, die bei dem Massaker zwei hoch angesehene Generale durch gezielte Morde verloren hatte, nahm die Ereignisse hin. Die Kirchen hüllten sich ebenfalls in Schweigen.

 

Die letzte Barriere, die Hitler von der uneingeschränkten Diktatur noch trennte, war der Reichspräsident: weniger als Person, denn als Institution, deren Rechte ausdrücklich vom „Ermächtigungsgesetz“ nicht tangiert waren. Der hochbetagte Hindenburg lag zur Zeit des „Röhmputsches“ auf dem Sterbebett. Am 1. August 1934 suchte Hitler das Staatsoberhaupt noch einmal auf und ließ, nach Berlin zurückgekehrt, ein Gesetz verabschieden, das ihn zum Nachfolger machte: Das Amt des Reichspräsidenten wurde aufgelöst und Hitler die Position „Führer und Reichskanzler“ zuerkannt. Das geschah unmittelbar vor Hindenburgs Tod, der am 2. August 1934 eintrat. Damit waren die Befugnisse des „Ermächtigungsgesetzes“ überschritten. Die Vereinigung der beiden Ämter war eindeutig ein offener Verfassungsbruch, aber daran nahm schon niemand mehr Anstoß. Überraschend erklärte Reichswehrminister Blomberg, er habe die Absicht, „unmittelbar nach dem Ableben des Herrn Reichspräsidenten die Soldaten der Wehrmacht auf den Führer und Reichskanzler Adolf Hitler zu vereidigen.“

 

Von links nach rechts: SS-Gruppenführer Kurt Daluege der SS-Gruppe Ost (Berlin); Heinrich Himmler, Reichsführer SS, und Ernst Röhm, Stabschef der SA. Foto: Archiv/RvAmeln.

Von links nach rechts: SS-Gruppenführer Kurt Daluege der SS-Gruppe Ost (Berlin); Heinrich Himmler, Reichsführer SS, und Ernst Röhm, Stabschef der SA. Foto: Archiv/RvAmeln.

 

Dieser „Eid der Treue“, der Tage später geleistet wurde, war ein freiwilliger Akt devoter Hingabe, die endgültige Selbstauslieferung der bewaffneten Macht an den Nationalsozialismus. Aus Dankbarkeit für die Entmachtung der SA? Aus Kalkül, um Hitler an das Militär zu binden? Hitler jedenfalls war endgültig und konkurrenzlos im Besitz aller Macht. Erst jetzt war er uneingeschränkt Diktator.  Die revolutionäre Phase der Machtübernahme war im Sommer 1934 auf drastische Weise beendet, der Rechtsstaat war unter dem Jubel des Volkes und seiner Eliten zerstört worden, Deutschland war in einen totalen Staat verwandelt, in dem das „Führerprinzip“ als Erfüllung aller politischen Sehnsüchte etabliert war und in allen Lebensbereichen galt. Der Wunsch nach „dem starken Mann“ an der Spitze, die Lust, sich zu unterwerfen, fand Ausdruck in der Ergebenheitsformel „Führer befiehl, wir folgen“, die gerne als Redeschluss nach Veranstaltungen der Partei gebraucht wurden oder als Transparent bei Aufmärschen und Kundgebungen zu sehen war. Der Rechtsstaat war Ende Juni 1934 endgültig untergegangen.

 

Für die Organisation und Ausübung nationalsozialistischer Herrschaft war die Erosion des Staates als Ordnungsfaktor im bisher bekannten Stil als regelhaft und einheitlich organisierte Gewalt charakteristisch. Der Normenstaat wurde von einem ganz anders gearteten Maßnahmestaat abgelöst, dessen entscheidende Komponente die Führergewalt war. In der staatlichen Amtsgewalt und außernormativen Autorität flossen diese zu einer neuen Form des an die Person Hitlers gebundenen Absolutismus´ zusammen. Dieser fühlte sich weder an die Normen positiven Rechts noch an vorstaatliche Sittengesetze gebunden und erhob überdies den Anspruch, beides zu suspendieren. Im Hitlerkult fand die Auflösung der traditionellen Staatlichkeit den äußeren Ausdruck.

 

Durchgesetzt wurde der Herrschaftsanspruch der Führergewalt ers allmählich, durch die Kumulation der obersten staatlichen Ämter in der Person Hitlers in Verbindung mit der Führung der Partei, auf Grundlage von Gesetzen und Verordnungen, die anfänglich noch von der Weimarer Verfassung begleitet waren, durch die Aufsplitterung der staatlichen Gewalt in eine Vielzahl von Ressort-Polykratien und durch die Umgehung und Zersetzung staatlicher Instanzen. Willfährige Juristen, an ihrer Spitze die Staatsrechtler Carl Schmitt und Ernst Forsthoff, lieferten eine Art theoretisches Fundament des NS-Staates. Schmitt predigte die Dreigliederung von „Staat, Bewegung, Volk“ als Elemente des neuen Deutschland. Die Bewegung NSDAP sei dem Volk und dem Staat vorgeordnet und bilde die „Verfassung der politischen Einheit“. Die NSDAP sei die Elite, der Staat die Befehls-, Verwaltungs- und Justizorganisation, das Volk war definiert als die berufsständisch verfasste Sphäre, die von den beiden Elementen Staat und Bewegung durchdrungen werde.

 

Eindeutig war an solchen Konstruktionen lediglich die Ablehnung von Toleranz und Demokratie als Ordnungsprinzipien einer freien Gesellschaft. Ernst Forsthoff propagierte in seiner Schrift „Der totale Staat“ die Unterwerfung des Volkes unter den Führer und bemühte sich, die Notwendigkeit dazu mit Begriffen wie „Volksordnung“ und „Herrschaftsordnung“ zu beweisen. Die Führergewalt, die sich in der Kriegs- und Endphase des Regimes immer offener als ausschließliches Regierungsprinzip durchsetzte, suspendierte letztlich auch den Dualismus von Partei und Staat. Die 1933/34 verkündete Funktionsaufteilung, nach der die Partei den politischen Willen des Volkes artikulieren, der Staat ihn bürokratisch exekutieren sollte, war ohnehin Theorie geblieben, weil beide, NSDAP und Staatsapparat, alternativ und einander ergänzend, als Instrument der Führergewalt eingesetzt werden konnten.

 

Das unkoordinierte Neben- und Gegeneinander der Dienststellen des Staats einerseits wie die Partei andererseits störte zwar die Mechanik der Machtausübung, stabilisierte aber „das Herrschaftssystem als Ganzes und den Führerabsolutismus an der Spitze“. Dass Hitler, verklärt vom Mythos, der seine Person umgab, in weite Fernen von den Bürokraten und ihren Apparaten entrückt war, störte diesen Mechanismus ebenso wenig wie die Tatsache, dass sich der Führerwille nur sporadisch und oft widersprüchlich über Mittelsmänner äußerte. Das war der Bestandteil und das Kennzeichen des Systems der nationalsozialistischen diktatorischen Herrschaft.

 

Von Rolf von Ameln

 

Redaktion Israel-Nachrichten.org

 

 

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Von am 19/08/2014. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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