Im selben Jahr, in dem der Rücktritt Edwards VIII. die Schlagzeilen der Weltpresse beherrschte, provozierte die „Union of Fascists“ unter der Führung von Oswald Mosley im jüdischen Viertel von London einen Aufstand, der in der Hauptsache dazu diente, Aufmerksamkeit zu erregen.
In der Cable Street im Londoner Stadtteil Whitechapel, nur ein paar hundert Meter östlich vom Tower, begleitete am Sonntag, dem 4. Oktober des Jahres 1936 ein großes Polizeiaufgebot einen genehmigten Aufmarsch der „British Union of Fascists“. Antifaschisten, Sozialisten, Kommunisten, jüdische und irische Organisationen protestierten lautstark gegen die uniformierten Marschierer.
Steine flogen, die Polizei entfernte Straßenblockaden, welche die britischen Faschisten aufhalten sollten; es kam zu Handgreiflichkeiten und es gab Verletzte. Die Provokation der Faschisten endete im Chaos. Die Ereignisse im Londoner Osten beherrschten in den nächsten Tagen die Schlagzeilen und Kommentare der britischen Presse: Einer kleinen politischen Gruppe, von der ein Großteil der Bevölkerung bis dahin nur wenig gehört hatte, war ein Propagandacoup gelungen, von dem sie in den kommenden Monaten profitieren sollte.
Bei den Kommunalwahlen im März 1937 erzielte sie bemerkenswerte Ergebnisse. In einigen Wahlbezirken im Londoner East End gewannen ihre Kandidaten bis zu 23 Prozent der Stimmen. Die liberalen und konservativen Zeitungen erklärten die Erfolge dieser Partei vor allem mit ihrem Antikommunismus und kruden Antisemitismus, der im East End mit seinen vielen jüdischen Immigranten auf fruchtbaren Boden zu fallen schien. Presse und Öffentlichkeit Englands wären vermutlich schon blad wieder zur Tagesordnung übergegangen und hätten die belächelten Imitatoren der faschistischen Parteien in Kontinentaleuropa schnell vergessen, wenn es da nicht jemanden gegeben hätte, der die lärmende und gewaltbereite Randgruppe im politischen Spektrum des Landes interessant machte.
Für die poltische Klasse Englands war deren Anführer kein Unbekannter. Sir Oswald Mosley, der im Jahre 1896 geborene Spross einer wohlhabenden Familie der britischen Oberschicht, hatte unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkrieges im Alter von 22 Jahren die politische Bühne betreten. Ehrgeizig und umtriebig, ein begnadeter Redner, interessiert an den sozialen Fragen der Zeit, schloss er sich zunächst der Konservativen Partei an. Dann, ab 1922, verließ er die Konservativen wegen deren Irlandpolitik und saß fortan als Unabhängiger im Londoner Unterhaus. Zwei Jahre später wechselte er zur Labour-Partei und wurde von Premierminister MacDonald schon 1929 mit einem Kabinettsposten belohnt. Mosley, so schien es, war der „kommende Mann“. Manche Zeitgenossen hielten ihn – und nicht Lloyd George oder Churchill – für den brillantesten Poltiker des Landes.
Doch Mosley, ein politisches Irrlicht, entwickelte unter dem Eindruck der im Jahre 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise eigene Vorstellungen darüber, wie die größten Probleme der Zeit gelöst werden sollten. Im März 1931 gründete er seine eigene Partei, die New Party – eine Absage an die Vergangenheit und die parteipoltischen Traditionen des Landes. Aus der Labour-Partei wurde Mosley daraufhin umgehend ausgeschlossen. Nicht deren Sozialsmus, sondern die Diktatoren vom Schlage eine Adolf Hitlers oder Benito Mussolini faszinierten den ambitionierten Jungpolitiker. Warum sollte England, das wie die anderen Industriestaaten unter den Folgen der globalen Wirtschaftskrise litt, bei der Bewältigung der wirtschaftlichen und poltischen Schwierigkeiten nicht dem Vorbild der autoritären Regime auf dem Kontinent folgen? Mosley zögerte nicht lange. Im Oktober 1932, nach der Rückkehr von einer Italienreise, gründete er die „British Union of Fascists“ (BFU), in seine erfolglose New Party aufging. Mosley glaubte, für seinen Ableger des europäischen Faschismus in Großbritannien genügend Unterstützung zu finden – Menschen, die der Krise hilflos ausgeliefert waren, die das parlamentarisch-demokratische System ablehnten, die nach „Recht und Ordnung“ und einen starken Staat riefen.
Aber auch in der Ober- und Mittelschicht Englands gab es viele, die dem Italien Mussolinis seit den 1920er Jahren und dem Nazistaat Hitlers seit 1933 unverhohlen Sympathie entgegenbrachten. Englische Besucher Nazi-Deutschlands, unter ihnen der ehemalige Premierminister Lloyd George und der Herzog von Windsor, berichteten nach der Rückkehr begeistert von dem, was sie dort gesehen und erfahren hatten. „Ich wünschte nur, wir hätten heute einen Mann mit so außergewöhnlichen Fähigkeiten wie Hitler an der Spitze unseres Landes“, sagte Lloyd George im September 1936 nach dem Zusammentreffen mit dem „Führer“ auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden. Seit 1932 war Mosley nicht nur der Schöper der faschistischen Bewegung in England, sondern auch deren unbestrittener, charismatischer „Führer“, dem die legendäre „Schlacht in der Cable Street“ die bis dahin fehlende Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für seine junge Partei beschert hatte.
Programmatisch vertrat er Positionen wie seine großen Vorbilder Hitler und Mussolini: Antikommunismus, Antiparlamentarismus, Schaffung einer straff organisierten „Volksgemeinschaft“, staatliche Kontrolle der Wirtschaft, Schutzzölle – und das alles durchmischt mit einer großen Portion Antisemitismus und Elementen der nationalsozialistischen Rassenideologie. Welche Absichten und Ziele Hitler wirklich verfolgte, hat Mosley dabei nie durchschauen können. Er war der Meinung, das nationalsozialistische „Dritte Reich“ und ein faschistisches Großbritannien könnten künftig freundschaftlich zusammenarbeiten und die Welt unter sich aufteilen. Selbst als die Konturen von Hitlers aggressiver Außenpolitik immer deutlicher hervortraten, konnte das Mosleys Bewunderung für den „Führer“ des Nazi-Reiches keinen Abbruch tun. Als er im Jahre 1936 in München in zweiter Ehe Diana Guinness, eine der Mitford-Schwestern, heiratete, war Hitler, den er bis dahin nur flüchtig kannte, sein Gast.
Hitler, der nur wenige Engländer persönlich kannte, sah in Mosley vermutlich eine Art nützlichen Vermittler, der ihm Kontakte zur politischen Klasse Englands vorbereiten konnte. Die kleine „British Union of Fascists“ nahm er als politische Kraft überhaupt nicht ernst. Möglicherweise wusste er, dass Mosley in Großbritannien als seine Marionette galt. Offizielle Verbindungen zwischen der BFU und der NSDAP hat es nie gegeben. Anfang 1942, während eines der protokollierten „Tischgespräche“, schwadronierte Hitler über gesellschaftliche Probleme „der Engländer“. „Leute wie Mosley“, behauptete er bei dieser Gelegenheit, „hätten das Problem spielend gelöst, einen Ausgleich zu finden zwischen Konservatismus und Sozialismus, den breiten Massen den Weg nach oben zu eröffnen und den Oberen zu erhalten, was sie brauchen.“
Wenig später nannte der deutsche Diktator Mosley einen „Mann von viel gutem Willen“, der sich aber gegen die Konservativen nicht durchsetzen konnte. Das allein klang schon wie ein Nachruf, denn als Hitler dies sagte, war Mosley als Politiker längst gescheitert. Nach dem Jahre 1937 war die BFU rasch in der Bedeutungslosigkeit versunken. Dazu trug erheblich dazu bei, dass sie sich seit Anfang 1936 „British Union of Fascists and National Socialists“ nannte, ungeachtet dessen, dass die Stimmung in England zunehmend deutschfeindlich wurde. Die Presse schrieb wegen der schwarzen Parteiuniform sowieso nur von den „Blackshirts“, wenn sie die BFU meinten. Wenige Monate nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, am 23. Mai 1940, wurden Mosley, seine Frau und engere Gesinnungsgenossen verhaftet, und die Partei wurde verboten.
Der kurzlebige Spuk des Faschismus in England hatte sein Ende gefunden. Ende des Jahres 1943 entließ die britische Regierung den erkrankten Mosley aus der Haft. Er habe keine Gesetze gebrochen und sei auch kein Landesverräter, ließ Churchill als Premier wissen. Er habe lediglich eine Menge Unsinn geredet – ein frühes, halbwegs gerechtes (?) Urteil über einen der schillerndsten Politiker Englands im 20. Jahrhundert. Mosley starb am 3. Dezember 1980 in der Nähe von Paris. Bereut hatte er nie.
Von Rolf von Ameln
Redaktion Israel-Nachrichten.org
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