„…. solange ist unsere Hoffnung nicht verloren, die Hoffnung, zweitausend Jahre alt, ein freies Volk zu sein, in unserem Land, im Lande Zion und in Jerusalem!“
Die Melodie, die Bedrich Smetana im Jahr 1878 geschrieben hatte erweist sich bei genauerer Betrachtung also als zumindest teilweise „entliehen“. Er selbst hat dies, das muss man ihm zugestehen, auch irgendwann zugegeben. Er habe sie von einer „faszinierenden Melodie, die sich über ganz Europa verbreitet habe geliehen“.
Astrith Baltsan muss wirklich gründlich nachgeforscht haben. Wie sonst wäre es ihr möglich gewesen, das nächste, erschütternde Filmdokument der BBC zu finden, das seinen Weg nie in die Programme der TV Sender fand?
Bergen Belsen, April 1945. Die britischen Truppen haben das KZ erreicht. Das, was sie erwartet ist grauenhaft. Vielleicht das bedrückendste Zeugnis des Holocaust. Die Befreier kamen am Freitag, vor Beginn des Schabbat. Die Überlebenden baten darum, eine kurze, letzte Kabbalat Shabbat Feier abhalten zu dürfen, bevor sie evakuiert wurden und das Typhus verseuchte Lager niedergebrannt werden musste. Sie sahen, dass BBC live in die USA und nach GB übertrugen und begannen spontan, die Hatikva zu singen. Die ausgemergelten Gesichter, die Körper, die nur mehr Skelette in einer Hauthülle waren.
Während diese Bilder über die Leinwand laufen, sind im Raum Schluchzer zu hören, niemand schämt sich seiner Tränen. Auch in Zichron Yaacov, dem Ort mit überwiegend amerikanischen Einwanderern gibt es kaum jemanden, der nicht einen Teil seiner Familie im Holocaust verloren hat.
Drei Jahre später, am 14.Mai 1948 verkündete David Ben Gurion in Tel Aviv die Gründung des Staates Israel. Während draußen auf den Straßen die Menschen tanzten und feierten, dirigierte der italienische Dirigent Bernadino Molinari das Israel Philharmonic Orchestra. Es war die Uraufführung seiner Hommage an Israel, der eigens für diesen Anlass komponierten Symphonie „Hatikva“.
In dieser wunderbaren Orchestrierung klang die Hatikva wie ein Choral von Bach, gespielt in einer Oper von Verdi!“ beschreibt die Künstlerin ihre Empfindungen. Molinari ließ in seiner Interpretation die sanft fließende Melodie Smetanas einer kraftvolleren Tonfolge weichen und verstärkte damit den Inhalt des Textes, die Sehnsucht nach etwas, was noch in weiter Ferne zu sein schien. Der eigene Staat, in dem das Volk Israel nach den Qualen der Shoa frei und autonom würde leben können.
Smetanas Arrangement ist immer noch klar erkennbar, erst in der zweiten Hälfte verändert sich die Musik. Astrith Baltsan erklärt: “Die dramatische Abfolge von Dissonanzen, die erst in der allerletzten Silbe des Textes im Wort Jerusalem – aufgelöst werden, der dreimalige dramatische Einsatz der Zimbeln, die fünf aufeinander folgenden Akkordverstärkungen bei den Schlussworten „im Land Zion und in Jerusalem“; welch großartiger Moment des Stolzes in der schmerzhaften Geschichte!“ Gleichzeitig intoniert Astrith Baltsan die letzten Takte der Hatikva Symphonie aus dem Arrangement für Klavier. Auch ohne den Einsatz eines großen Orchesters ist der Eindruck der Musik überwältigend! Im Publikum ist nichts mehr zu hören, die sich aufbauende Spannung ist fast greifbar und entlädt sich in einen donnernden Applaus!
Unmittelbar nach dem Konzert anlässlich der Staatsgründung verschwand Molinari. In Italien wurde er der Kollaboration mit den Faschisten und Nationalsozialisten angeklagt. Ihm war nachgewiesen worden, jüdische Mitglieder seines eigenen Orchesters an die Nazis verraten zu haben. Er wurde schuldig gesprochen und verstarb in Einzelhaft. Für einige Jahre durfte seine Musik in Israel nicht mehr aufgeführt werden.
Die Geschichte der israelischen Nationalhymne endete damals nicht, sie geriet nur ein wenig in Vergessenheit.
Ein neuer Star am israelischen Musikhimmel stieg auf, Naomi Shemer. Sie stürmte mit ihrem Lied „Jerusalem of Gold“ nicht nur die Hitparaden, sondern gewann auch die Herzen aller Israelis.
Im Jahr 1967, als die Truppen der IDF die jüdische Altstadt zurückeroberten, sangen die Soldaten nicht nur die Hatikva, sondern auch Hymne der Herzen „Jerusalem of Gold“.
Am 09. Juli 1967 gab Leonard Bernstein anlässlich des Endes vom Sechstagekrieg ein großes Konzert im Amphitheater der alten Universität am Skopus Berg in Jerusalem. Nach der Befreiung Jerusalems war auch dieser Ort, der jahrelang von Jordanien besetzt war, wieder an Israel zurückgefallen. Bernstein war der erste, der die Hatikva von Molinari gemeinsam mit dem Israel Philharmonic Orchester wieder aufführte.
Schauen Sie“, sagte er, „vielleicht ist Molinari nach Palästina gekommen, um Ihre Vergebung zu erbitten.“
Beide Lieder, die Hatikva und Jerusalem of gold wurden als neuen Nationalhymne diskutiert. „Jerusalem of gold schien den meisten Israelis als zu wenig „staatstragend“ und wurde deswegen rasch aus der Diskussion genommen. Blieb also noch die Hatikva. Doch auch die stieß nicht auf ungeteilte Zustimmung. „Den religiösen Israelis war sie zu unreligiös, zu unjüdisch. In liberalen Kreisen hörte man genau das Gegenteil, sie sei zu jüdisch. Ein anderer Kritikpunkt war, dass der Text nur über die „jüdische Seele“ spricht. Dadurch werden Minderheiten in Israel vernachlässigt.“ ergänzt Astrith Baltsan.
Und dann der nationale Schock: eine Woche vor ihrem Tod im Jahr 2004 gab Naomi Shemer bekannt, sie habe die Melodie wohl irgendwo einmal gehört und unwissentlich in ihre Musik eingeflochten.
Sollte Israel niemals eine eigene Nationalhymne bekommen?
Im Jahr 2004 wurde in der Knesset darüber abgestimmt, welche Melodie in Zukunft ganz offiziell die israelische Nationalhymne sein sollte.
Ein Knesset Angeordneter aus Daliyat al-Karmel war es schließlich, der den Ausschlag gab: „Das ist die Hymne unseres Dorfes, sie wird auch als Hymne des Staates passend sein.“
Wie sehr die Hatikva die Hymne nicht nur eines Staates, sondern auch eines Volkes ist, zeigt sich am Ende des Konzertes, als alle Zuhörer sich erheben und die Hatikva singen, begleitet von einer wunderbaren Pianistin und großen Lehrerin.
Von Esther Scheiner
Redaktion Israel-Nachrichten.org
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