Erst nach den Pogromen im November 1938 zogen viele Jüdinnen und Juden eine Emigration ernsthaft in Erwägung. Frauen und Mädchen begannen sich für einen Fluchtweg zu interessieren, den seit dem „Anschluss Österreichs“ bereits tausende jüdische Frauen aus der „Ostmark“ beschritten hatten: die Auswanderung nach England mithilfe eines „Domestic permit“, einer Beschäftigungbewilligung für Dienstmädchen.
Sie taten dies unter dem wachsenden Vertreibungsdruck der Nazi-Behörden, die etwa eine Entlassung der in der Pogromnacht Verhafteten aus den Konzentrationslagern von konkreten Auswanderungsplänen aghängig machten.
Eine verzweifelte Suche nach Aufnahmeländern begann. Tausende erhofften sich dabei in den Auswandererberatungsstellen der großen Städte konkrete Hilfe oder zumindest eine Bestätigung über ihre Emigrationsabsicht. In Österreich hatte diese Fluchtbewegung an eine Arbeitsemigration angeknüpft, die – von staatlicher Seite stark gefördert – bereits seit Anfang der 1930er-Jahre lief. Ermöglicht worden war diese Arbeitsemigration, da es in Großbritannien bereits seit Ende des Ersten Weltkrieges an Hauspersonal mangelte und daher ausländische Arbeitskräfte benötigt wurden.
Eine staatliche Förderung wie in Österreich hatte es in Deutschland auch in der Zeit der Weimarer Republik nicht gegeben, dennoch hatten auch deutsche Frauen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, wenn auch in wesentlich geringerem Maße als die Österreicherinnen. Ohne großen Erfolg hatten sich jüdische Organisationen – wie der jüdische Frauenbund – vor allem seit der „Machtergreifung“ der Nazis bemüht, junge Mädchen in Haushaltsschulen für eine mögliche Auswanderung vorzubereiten. Erst jetzt begannen auch jüdische Frauen aus dem „Altreich“ als Hausgehilfinnen nach Großbritannien zu drängen.
Der Vorsprung der Österreicherinnen war aber nicht mehr aufzuholen: nur rund ein Viertel der etwa 20.000 so genannten Refugee Domestic Servants kamen schließlich aus dem „Altreich“. Mitte November des Jhres 1938 lockerte England seine eher restriktive Zuwanderungspolitik insofern, als es die Grenzen für Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland für Temporary Refuge – eine zeitlich mit zwei Jahren begrenzte – Zuflucht öffnete. Für die Hausangestellten wurde das Prozedere der Einreisebewilligung stark vereinfacht. Hatten bisher zukünftige Dienstgeber um Beschäftigungserlaubnis für eine bestimmte Person ansuchen müssen, die dann aufgrund dieses Permit ein Einreisevisum erhielt, so wurden nun in Zusammenarbeit mit den jüdischen Institutionen des Herkunftlandes Einreisebewilligungen auch an Frauen vergeben, die noch keinen Dienstgeber hatten.
Ein eigens von den englischen Flüchtlingshilfsorganisationen geschaffenes Domestic Bureau hatte sich dann in Großbritannien um deren Vermittlung sowie auch um alle anderen Angelegenheiten der Refugee Domestic Servants zu kümmern, die – um Lohndumping zu vermeiden – einen festgelegten Mindestlohn erhalten mussten. Die Flüchtlingsfrauen durften zwar die Stelle wechseln, mussten aber im Bereich der Arbeit in Privathaushalten bleiben. Die jüdischen Organisationen – wie die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland und die Israelitische Kultusgemeinde in Wien – richteten Haushalts- und Sprachkurse zur Vorbereitung ein.
Da der Fluchtweg als Dienstmädchen einer der wenigen war, der Frauen offen stand, machten bald auch „höhere Töchter“ davon Gebrauch, die zu Hause selbst von Hauspersonal umgeben gewesen waren. Das brachte Probleme mit sich: Erstens waren diese jungen Frauen in Haushaltsarbeiten unerfahren, zweitens konnten sie den gesellschaftlichen Abstieg häufig kaum verkraften und fühlten sich schon deshalb von den englischen Dienstgebern schlecht behandelt. Ihre Kolleginnen aus dem Arbeitermilieu kamen damit oft besser zurecht.
Der Umgang der Dientgeberinnen mit den Flüchtlingsfrauen erwies sich überhaupt als problematisch. Zwar gab es Fälle, in denen die Haushaltshilfe fast wie eine Tochter behandelt wurde, im Allgmeinen aber gingen britische Mistresses mit ausländischen Maids um, wie dies seit viktorianischer Zeit in England üblich war. Das bedeutete: ungewohnt schwere Arbeit in ganz anders als auf dem Kontinent organisierten Haushalten, sehr wenig Freizeit, als Essen oft bloß die Reste vom Familiendinner, Einsamkeit. Viele der Refugee Domestic Servants waren überdies sehr jung, weil sich jüdische Familien häufig entschlossen, Töchter nach England vorauszuschicken, in der Hoffnung, diese könnten sie später nachkommen lassen.
Heute erzählen diese Töchter, wie sehr sie sich in Bloomsbury House – der Zentrale der Flüchtlingshilfsoranisationen – bemühten, Jobs für Familienmitglieder und damit das rettende Permit zu bekommen. Ob ihnen das gelang oder nicht, beinflusst bis heute ihre Beurteilung dieser Zeitspanne ihres Lebens. Viele der jungen Mädchen waren aber mit einer solchen Aufgabe völlig überfordert. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges machte schließlich diesen Bemühungen ein Ende. Der briefliche Kontakt zu den in Nazi-Deutschland verbliebenen Angehörigen war nur noch durch Kurzmitteilungen über das Rote Kreuz möglich. Auf diesem Wege erfuhren viele schließlich in verschlüsselten Botschaften von der Deportation ihrer Eltern.
Von deren Ermordung durch das NS-Regime erhielten sie häufig erst nach Kriegsende – wenn überhaupt – Kenntnis. Der Kriegsbeginn erwies sich aber auch in anderer Weise als schwerwiegender Einschnitt: Zahlreiche ausländische Haushaltsangestellte verloren ihren Job und damit das Dach über dem Kopf, weil ihre Dienstgeber sich schlichtweg weigerten, weiterhin eine Person deutscher Muttersprache zu beschäftigen. Die Flüchtlingshilfsorganisationen, die der englischen Regierung im Wort waren, dass Flüchtlinge nicht der Öffentlichkeit zur Last fallen würden, stellte dies vor große finanzielle Probleme. Diese wurden erst dann gemildert, als die britische Regierung sich entschloss, zum Unterhalt mittelloser Flüchtlinge beizutragen.
Direkt betroffen waren die Flüchtlingsfrauen schließlich auch von Internierungsmaßnahmen. Viele Dienstmädchen waren von den nach Kriegsbeginn eingerichteten Tribunalen in Kategorie „B“ eingestuft worden, galten also als „nur eingeschränkt vertrauenswürdig“, was im Mai des Jahres 1940 zur Internierung führte. Zudem verbreitete sich in der englischen Öffentlichkeit eine negative Stimmung: Man begann in deutschsprachigen Hausmädchen mögliche Spione zu sehen. Der Vormarsch der „Großdeutschen Wehrmacht“ in Westeuropa war für die jüdischen Flüchtlinge noch viel bedrohlicher als für die britische Bevölkerung. Dennoch brachte der weitere Kriegsverlauf für die Flüchtlinge auch Erleichterungen. Die Bschäftigungsbeschränkungen wurden gelockert.
Viele der Refugee Domestic Servants konnten die Haushalte verlassen und begannen Arbeit in kriegswichtigen Betrieben zu leisten. Andere strebten eine Krankenschwesternausbildung an oder traten in den Auxiliary Territorial Service (ATS), das weibliche Hilfskorps der britischen Armee, ein. Ehen wurden geschlossen, die Integration in die englische Gesellschaft begann. Nur sehr wenige gingen nach Kriegsende nach Deutschland zurück.
Die „Berliner Morgenpost“ polterte an jenem 16. November 1938 direkt los: „Niemand will diese lästigen Parasiten haben, die sich noch immer als gefährlicher Fremdkörper in jedem anderen Volkstum breit machen“, schreibt das Blatt, das damals im Ullstein Verlag erschien. Auch hier wird die Mär von den November-Pogromen als „spontane Antwort des deutschen Volkes auf den Mord von Paris“ verbreitet. Außerdem wird das angeblich üppige Vermögen der Juden in Deutschland beziffert – 8 Milliarden Reichsmark -, womit noch mehr Neid des deutschen Arbeiters beschworen wird..!
Von Rolf von Ameln
Redaktion Israel-Nachrichten.org
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