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Die Villa Zissu in Berlin-Grunewald von 1929

Ein Refugium für Reiche wird Grunewald ganz nebenbei genannt, auch der Millionär Hermann Ullstein wird erwähnt, sein Verlag 1934 arisiert, 1939 rettete er sich vor den Nazis nach New York, wo er vier Jahre später starb. Der Verleger Samuel Fischer wird ebenso genannt, Alfred Kerr der berühmte Theaterkritiker soll fünfundzwanzig Jahre im „Parkwald“ gewohnt haben. Ganz nebenher fiel bei ihm der Ausdruck „Millionärskaff“. Auch Kerr floh mit seiner Familie über die Schweiz und Frankreich nach England.

Villa Zissu – Berlin Grunewald. Foto: Wollmann-Fiedler

Die Autorin und Städteplanerin Heidede Becker beschreibt hochinteressant und historisch die Entstehung Grunewalds mit künstlichen und zwei natürlichen Seen, beschreibt die Architekturen der damaligen Zeit vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1920 als Grunewald zusammen mit drei Städten und vierundfünfzig Dörfern zu Berlin kam und Groß Berlin entstand. Die Reichen dieser Villenkolonie wehrten sich gegen die Übernahme durch Berlin, wollten ihre Eigenständigkeit und Steuervorvorteile behalten. In der wilhelminischen Zeit baute man die Villen größer, luxuriöser und mit viel Pomp ausgestattet. Nach dem ersten Weltkrieg wurde auch beim Bauen eine soziale Veränderung festgestellt, die Stadtbahn 1882 gebaut, die Verbindung zu Berlin hergestellt.

Ein historischer Diskurs zur Berliner Geschichte ist der Autorin Heidede Becker gelungen, die Stadtgeschichte im Westen Berlins ist gut beschrieben und interessant, auch zur Entstehung der Villenkolonie und der spätere, weitere Ausbau, über Widrigkeiten und Gelungenem ist zu lesen. Pläne von damals sind großartig zum Erkennen der Straßen und Lage und der Erweiterung des Villenterrains in den 1920er Jahren.

Mit absoluter Präzision beschreibt die Stadtplanerin Veränderungen der Straßen- und Adressenänderungen. Pläne und auch die Fotos sind wichtige Beigaben.

Mit einer der interessanten Karten laufen wir mit der Autorin Heidede Becker zum Hundekehlesee, einem natürlichen See im Forst Grunewald, begegnen am Weg Villen mit bekannten Namen von wohlhabenden Bürgern, die noch heute stadtbekannt im Raum schweben, darunter assimilierte jüdische Nachbarn, die der Stadt noch heute historischen Glanz geben.

Bekannte Architektennamen begegnen uns ebenfalls auf dem Weg am See. Einer der Architekten, Michael Rachlis, wurde 1884 als Sohn des jüdischen Kaufmanns Ilia und der Anna Rachlis im Zaristischen Russischen Reich in Moskau geboren. In einem Schtetl in der Ukraine ging er in die Schule, in Kiew studierte er Mathematik. Zu Beginn des Jahrhunderts ging er an die Münchener Technische Hochschule. Seinerzeit hatte München die populärste Hochschule, zum Studium der Architektur. Nach bestandenem Diplom absolvierte er seinen Militärdienst im Russischen Reich, 1913 kam er in Berlin an, wo bereits sehr bekannte Architekten lebten. Mit Künstlern und Theaterleuten arbeitete er zusammen, entwarf Bühnenbilder, die in Journalen in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts großes Lob erhielten, als Innendekorateur und Möbeldesigner wurde er ebenfalls gelobt. Auch lesen wir, dass Rachlis für die Werkstätte Hellerau bei Dresden bis 1933 Möbel entwarf und für die Deutschen Werkstätten; wertvolle Materialien, edle Hölzer und Stoffe wurden sein Markenzeichen. Der Maler Ernst Fritsch aus Charlottenburg übernahm so manche Innenmalerei in Häusern, die Rachlis neu baute oder umbaute, ebenso Ludwig Kainer aus München. Rachlis‘ Auftraggeber gehörten zu den Wohlhabenden. Wir erfahren von der Autorin, dass ab 1923 Aufträge ins Haus des Architekten kamen und erfahren, wie der russische Architekt langsam Fuß in Berlin fasst, dann Umbauten und Neubauten im Landhausstil folgen und, dass er sich mit berühmten Schauspielern und Künstlern der Sezession umgibt und mit ihnen so manches fröhliche Fest feiert. Einige von ihnen starben Jahre später in Konzentrationslagern oder flohen in Länder die sie als verfolgte und verfemte Juden durch die Nazischergen noch aufnahmen. Auch Rachlis floh vor den Mördern aus Deutschland 1935 nach London, wo er 1952 starb. Sein letztes Projekt in Groß Britannien war der Entwurf des Wandteppichs für die Andrea Doria, dem italienischen Luxusdampfer, der 1953 seine Jungfernfahrt unternahm und 1956 auf dem Weg nach New York nach einer Kollision unterging. Die meisten Passagiere wurden damals gerettet.

Avram Leib Zissu beauftragte Michael Rachlis, ihm und seiner Familie ein modernes komfortables Haus in Grunewald zu bauen. Weißbräunlicher Travertin wurde für die Verkleidung des Baus der Villa ausgesucht, der in Cannstatt am Rande von Stuttgart abgebaut wird, aus leicht bis mittelbrauner, intensiv gemusterter Melasse besteht, mit fossilen Fragmenten, die in Algen verkrustet und mit Hohlräumen aus Calcitkristallen versehen sind. Hervorragender gut schmeckender Württemberger Wein wächst in dieser Region. Das Innere des Hauses wurde ebenfalls mit Travertin verkleidet, Regale in die Wände eingebaut und marmorne Bäder erhöhten den Luxus. Möbel mit Intarsien entwarf der Architekt, rötliche edle Hölzer wurden zum Bau verwendet, erotische Motive waren vom Bauherrn gewünscht. Elektrische versenkbare große Fenster unterstützten den Raumeindruck und den theatralisch inszenierten Hintergrund. Vom Eingang bis zum See entstand eine landschaftliche Augenweide. Wie auf einem übergroßen Gemälde liegen der Hundekehlesee und der Grunewald im Hintergrund. Goldene Zimmerdecken schmückten die Villa und Wandmalereien des Leipziger Malers Georg Walter Rössner. Elegant und luxuriös sollte die Villa Zissu werden und wurde es. Seit 1929 steht sie in der Gustav-Freytag-Straße 15.

Villa Zissu – Berlin Grunewald. Foto: Wollmann-Fiedler

Der Bauherr Avram Leib Zissu wurde1888 in eine strenggläubige chassidische jüdische Familie im Königreich Rumänien in der Moldau geboren, einem Landstrich im Nordosten Rumäniens, im Städtchen Piatra Neamt unweit von Jassy. Schon als Jugendlicher musste er die Familie ernähren. Klug und fleißig war er, später kam er durch Fleiß und Scharfsinn zu großem Vermögen. Mit anderen Intellektuellen legte er in Rumänien den Grundstein für verschiedene literarische und kulturelle Zeitschriften, Rachel Zimmer aus Jassy heiratete er, zusammen zogen sie nach Bukarest. Er gründete Dies und Das, hatte kluge Ideen, wurde Miteigentümer und Direktor der Zuckerfabrik Ripiceni, verdiente viel Geld. Seit seiner Jugend in Jassy bestand der Wille nach Deutschland zu gehen. Seine Ehefrau brachte Luxus mit in die Ehe, kam aus einer reichen moldauischen jüdischen Fabrikantenfamilie. Anführer einer zionistischen Bewegung in Rumänien und ein Freund von Mihail Sebastian soll Zissu gewesen sein bis zu Sebastians frühem Tod 1945. Nach Deutschland, nach Berlin in die pulsierende Metropole ging das Ehepaar in den 1920er Jahren, wo Leib Zissu als Publizist von seinem rumänischen Vermögen lebte.

Zu Beginn des 2. Weltkriegs 1939 befand sich das Ehepaar Zissu in der Schweiz. Ihr Hab und Gut wurde inzwischen in Berlin von Nazideutschland konfisziert, so reisten sie direkt zurück nach Bukarest. Bereits 1933 schickten Rachel und Avram Leib Zissu, ihr einziges Kind, ihren Sohn Theodore, nach England zum Jurastudium ans Trinity College in Cambridge, Jahre später ging Theodore zum Royal Armoured Corps, kämpfte im 2. Weltkrieg in Afrika und fiel dort 1942. Die in Berlin gebliebene jüdische Hausangestellte Else Eva Bender wurde 1941 nach Kaunas in Litauen deportiert und ermordet.

Den Krieg erlebte das Ehepaar Zissu in Bukarest, unbeschadet vom Antonescuregime, noch immer recht wohlhabend und einflussreich. Zissu versuchte in diesem faschistischen Regime Deportationen jüdischer Bürger zu verhindern und unterstützte Aliya Transporte nach Palästina. 1947 wurde der Rumänische König vor die Tür gesetzt und die kommunistische Ära begann. Einige Zeit war Zissu bereits im Visier der Securitate, wurde 1954 verhaftet, gefoltert und zu lebenslanger Haft als Hochverräter verurteilt, offenbar nach zwei Jahren,1956, entlassen. Die Gesundheit des inzwischen achtundsechzigjährigen Weltbürgers hatte sich rapide verschlechtert. Kurz darauf verließ er Rumänien und immigrierte nach Israel. An einem Herzinfarkt starb Avram Leib Zissu einige Monate später in Tel Aviv.

Villa Zissu – Buchtitel. Foto: Verlag

Exzellent recherchiert und spannend geschrieben hat die Autorin und Stadtplanerin Heidede Becker, Hochinteressantes erfährt der Leser nicht nur über die berühmte Villa Zissu, diese recht einmalige sehr luxuriöse Architektur aus dem Jahr 1929 am Hundekehlesee in Grunewald, die Lage und vieles mehr, auch Historisches über Grunewald und Berlin, über Kultur- und Architekturgeschichte des späteren Stadtteils von Berlin, wie ich zu Beginn bereits sagte. Über den Architekten Michael Rachlis und den rumänischen Bauherrn Avram Leib Zissu und seine Familie. Das Lesen und Stöbern im Buch „Villa Zissu – ein Haus der Moderne in Grunewald“, von Heidede Becker, das im filum rubrum verlag in Nauen bei Berlin erschien, vermittelt oft wenig Bekanntes, enthält Neuigkeiten zum Staunen.

 

Von Christel Wollmann-Fiedler

Frau Wollmann-Fiedler ist Fotografin, Autorin, Journalistin und lebt in Berlin.

 

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Von am 07/04/2017. Abgelegt unter Europa. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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